Seit vier Tagen sind wir (meine Partnerin Padma und unsere kleine Retreat-Gruppe) wieder in Indien. Wir genießen die wunderschöne Natur direkt am heiligen Fluss Ganges nördlich der  Pilgerstadt Rishikesh. Hier in den ersten hügeligen Ausläufern des Himalaya zeigt sich der Ganges (oder besser: die Ganga, als weiblicher Gottesaspekt) mit Stromschnellen und atemberaubenden weißen Sandstränden noch so naturbelassen und sauber, dass auch Westler gefahrlos in seinen/ihren Wassern baden können. Es ist ein sinnlicher und spiritueller Genuss, in das kühle Nass zu steigen und noch mal mehr alles belastende Denken von der göttlichen Energie in Form eines Flusses wegspülen zu lassen.

Ganges - Torsten und Padma Retreat 2013
Das ist vielleicht das Wunderbarste an Indien: Es ist hier erlaubt, spirituell zu schwelgen. Wir dürfen staunen über das Göttliche. Es ist willkommen, uns der mystischen Dimension des Lebens hinzugeben, in dem sich unser kleines Ich verliert.
Sicher: Ken Wilbers Integralem Modell nach betrachtet, ist das meiste der religiös-spirtuellen Atmosphäre Indiens durch prä-rationale Energien geprägt. Aus der rationalen Sicht zeigt sich hier naiver Glauben an die Wortwörtlichkeit von Mythen, an die Wirksamkeit von Ritualen und an die „wirkliche Wirklichkeit“ von eigentlich symbolischen Göttergestalten. Dies muss und wird durch die Entwicklung der Vernunft kritisch hinterfragt werden – das scheint mir der Evolution nach auch in Indien zu geschehen. Doch im Prärationalen liegt auch noch die Unschuld des unverfälschten Erahnens unserer Göttlichkeit. Das Staunen über das Mysterium  - Gott dankt es – ist noch nicht wegrationalisiert.
Das ist vermutlich der Grund, warum auch der Raum für transrationale, echte mystische Erkenntnis hier manchmal größer zu sein scheint, als in "höher entwickelten" aufgeklärten Kulturen. Diese neigen dazu, jeden Geschmack von Spiritualität, in der guten Absicht, naiven Aberglauben mit kritischer Vernunft  zu transzendieren, wegzudiskutieren. Da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Es würde mich freuen, wenn sich dieser sprituelle Charakter Indiens noch lange so erhält oder vor allem durch immer mehr transrationale Spiritualität ersetzt wird.
Manchmal schmerzt es fast, wenn wir am Ganges über die Jahre mitbekommen, wie immer mehr neureiche und rational aufgeklärte Inder massenhaft in Rafting-Touren in ihren Gummibooten über die göttlich schönen Stromschnellen von Ganga sausen und nach eher oberflächlichem Vergnügen suchen. Ihr Jauchzen und Johlen bei diesem Abenteuer ist eigentlich ein schöner Klang. Aber wenn es zum Massentourismus wird und man während des stillen Sitzens am Gangesstrand zwei Stunden lang nur noch Jauchzen und Johlen hört ändert sich das spontan. Da kommt kurzzeitig schon mal der Wunsch auf, die Zeit ein wenig zur alten Ursprünglichkeit zurückzudrehen oder sogar der fiese Gedanke, Ganga möge mit ihrer Kraft ein paar von den Grölenden mal schön unterdukern und ihre Suche nach Glück auf Wesentlicheres lenken - was sie sicher manchmal mit Vergnügen tut.
Dann aber entspannt sich der Geist von jenen gemeinen Ideen, genießt das Krächzen der Raben, das rollende Getöse der Stromschnellen und genauso das Jauchzen der Rafter als den perfekten einen Klang des Göttlichen. Wieder mal wird überdeutlich: Es könnte und sollte nicht anders sein. Es ist vollkommen, genauso wie es sich gerade zeigt. Jetzt und immer.

herzliche Grüsse an alle Leser auf connection.de – und vielleicht ein paar prärationale Segnungen  (für die, die’s glauben oder annehmen wollen) – auf jeden Fall transrationale Dankbarkeit

Torsten