Dieser Text beinhaltet:

…  eine Fürsprache für eine ganzheitliche Wahrnehmung in politischen Konflikten, einschließlich innerer Erlebensanteile

…  ein Einfühlungsversuch in die „russische Seele“ bezüglich des Ukraine-Konflikts

…  eine Anregungen zur Bildung von globalen integralen Mediatoren-Teams

Bei der Beschäftigung mit der politischen Krise in der Ukraine ist mir noch einmal bewusster geworden, was ich an politischen Diskussionen und Handlungsweisen oft als einseitig empfinde. Diese Einseitigkeit trägt zu unbefriedigenden Konfliktlösungen und manchmal sogar schlimmen Eskalationen bei. In diesem Beitrag erläutere ich, um welche Art von Einseitigkeit es sich handelt, wie sie durch erweiterte Sichtweisen ergänzt werden kann und welche hilfreiche Auswirkung dies hat.
Ich will in Kürze andeuten, was ich unten ausführlich und konkret beschreibe: Politische Betrachtungen fokussieren oft zu sehr auf äußere Sachverhalte und vernachlässigen das innere Erleben der beteiligten Menschen. Solch eingeengte Perspektive erschwert es, zu ganzheitlichen Betrachtungen und nachhaltigen Lösungen zu kommen. Was wir brauchen ist nicht nur politisches Denken und Handeln, sondern eine neue Art des politischen Fühlens und Einfühlens. Dies wird erst durch ein hohes Maß an psychologischer und spiritueller Bewusstheit möglich. Politische Einfühlung stellt eine große Herausforderung da. Gelingt es uns aber, auch das innere Erleben beteiligter Menschen aus einer wertfreien und liebevollen Haltung zu beleuchten, öffnet sich ein Raum für ungeahnte Potentiale. Fronten weichen auf. Spannungen lösen sich. Neuartige Lösungen tun sich auf. Frieden wird möglich. Und - wer weiß - vielleicht rückt sogar eine belächelte Utopie wie „der Weltfrieden“ in greifbarere Nähe.

Nur Außen - kein Innen

Für eine genaue Betrachtung dieses Themas ist ein philosophisches Konzept äußerst hilfreich: Das "Integrale Modell des Bewusstseins" von dem amerikanischen Gelehrten Ken Wilber. Es setzt sich aus fünf Grundelemente zusammen: Quadranten, Entwicklungsebenen, Bewusstseinszuständen, Entwicklungslinien, Typologien. In ihrer Kombination bilden sie – nach Wilber – eine "Theorie von Allem". Ob man dieser hochtrabenden Aussage zustimmt oder nicht, meiner Ansicht nach eröffnet uns dieses Modell viele sehr hilfreiche Sichtweisen.
Gerade eine Betrachtung der „Quadranten“ kann für politische Sichtweisen und den Bereich der Konfliktklärung eine große Bereicherung sein. (Natürlich sind auch die anderen Elemente, gerade die Bewusstseinsebenen, genauso bedeutend, doch in diesem Text möchte ich zunächst nur auf die Quadranten eingehen)
Wilbers "Quadranten-Modell " besagt, dass jedes Phänomen des Lebens sich immer in vier Anteilen entfaltet. Hier eine kleine Einführung in die Thematik:
(wer schon mit dem Konzept der vier Quadranten vertraut ist kann diese überspringen und ab der Überschritt „Bitte alles einbeziehen“ weiterlesen)

Quadranten nach Wilber

Von innen wahrnehmen

Es gibt einen subjektiven, individuellen Anteil (oberer linker Quadrant, siehe auch Grafik). Das sind alle Erfahrungen, die ein Ich innerlich erlebt: Empfindungen. Gefühle. Gedanken. Glaubensmuster. Bedürfnisse. Selbstidentitätsempfinden usw. Die Wissenschaft der Psychologie - unter anderen Wissenschaftsdisziplinen – richtet ihren Fokus auf Erkenntnisse dieses Quadranten.
Das innerliche Erleben eines Individuums ist zugleich eingebettet in ein innerliches Gruppenerleben. Kommen mehrere Individuen zusammen, ergeben sich Anteile der Wirklichkeit, die Wilber im linken unteren Quadranten verortet. Hier spielt Kommunikation eine wichtige Rolle. Mehrere Ichs tauschen sich nonverbal und verbal aus. Es entsteht eine  gemeinsame Sprache. Kollektive Glaubensmuster und Identitäten bilden sich. Das „Wir“ teilt Werte, Gruppengefühle und gemeinsame Bedürfnisse. All das sind Themen einer innerlich, kollektiven Sichtweise (linker, unterer Quadrant). Als wissenschaftliche Paradedisziplin könnte man unter anderem Soziologie und Aspekte der systemischen Psychologie nennen.
Wichtig: Die Welt der beiden innerlichen Quadranten kann nicht einfach von außen wahrgenommen werden. Gedanken, Gefühle und Werteinstellungen können wir nicht als distanzierter Wissenschaftler mit dem Auge oder einem Mikroskop beobachten. Dieser Anteil der Wirklichkeit muss durch Dialog und offenes Einfühlen erfragt und erspürt werden.

Von außen beobachten

Dann gibt es noch die beiden rechten Quadraten. Sie beschäftigen sich mit von außen sicht- und messbaren Phänomenen. Aus der Sicht des rechten, oberen Quadranten beobachtet man das Individuum von außen. Man macht Aussagen über seine Gestalt, seine physische Zusammensetzung und sein Verhalten. Körperzustände. Lebensvorgänge im Organismus. Hirnaktivitäten. Solche Wissensfelder spielen hier eine Rolle. Die klassische Schulmedizin mit ihren Wurzeln in den Naturwissenschaften von Physik, Chemie und Biologie wären hier als Forschungszweige zu nennen.
Bleibt noch der vierte Quadrant (unten, rechts): Er beschäftig sich mit äußeren kollektiven Erscheinungen: Hier geht es um die Außenbetrachtung der Vernetzung individueller Elemente. Um komplexe Wechselwirkungen zwischen Lebewesen in der Biosphäre unseres Planeten. Um Entstehung von kulturellen Institutionen und politischen Systemen im Miteinander von Menschen. Die Systemwissenschaften erforschen diesen Quadranten.

Bitte alles Einbeziehen

Ken Wilber leitet aus diesem Quadranten-System eine eindringliche Bitte - ja Forderung - ab: Um ein beliebiges Geschehen in der Welt klar betrachten und dann angemessen Handeln zu können sollten wir immer alle vier Perspektiven einbeziehen. Ansonsten bleiben unsere Betrachtungen unvollständig, einseitig und wirken sich schädlich aus. Aus einer weisen Geisteshaltung heraus geschieht eine solche Einbeziehung aller Perspektiven oft intuitiv. Zugleich hilft uns die bewusste Reflektion aller Quadranten, Einseitigkeiten zu vermeiden und eine umfassende Sichtweise zu eröffnen. Ich wünschte möglichst viele Journalisten und Politiker würden von dieser Möglichkeit hören und sie nutzen!

Wahrer Journalismus ade?

Schauen wir uns die öffentliche Diskussion in den deutschen Massenmedien in den ersten Wochen der Ukraine-Krise an. Worauf richten Politiker und Journalisten ihren Fokus? Welche Perspektiven werden eingenommen und dargestellt? Ganz oft reden Meinungsmacher über die äußeren Aspekte des politischen Geschehens - also über die beiden rechten Quadranten des Wilber-Modells: Es geht um das beobachtbare Verhalten von Machthabern und Bevölkerung. Journalisten berichten, was, wer, wann, wo getan oder gelassen hat. TalkshowmoderatorInnen palavern mit ihren Gästen darüber, welche politischen und wirtschaftlichen Systeme wie beeinflusst werden, welche Regionen und Volksgruppen betroffen sind, welche Gesetze oder Verträge gebrochen wurden.  Politiker beziehen sich auf Parallelen in der Geschichte. Staatsmänner - und Staatsfrauen - spekulieren über den Einsatz von diplomatischen, wirtschaftlichen oder militärischen Machtinstrumenten. Bei all diesen Themen handelt es sich um Rechte-Quadranten-Perspektiven.

Propaganda Mainstream

Hinzu kommt, dass aktuelle Reflektionen oft von einem oberflächlichen, trennenden Schwarz-Weiß-Denken durchzogen sind. Besonders in der ersten Zeit der Krim-Krise – und auch jetzt noch - erschreckte es mich, wie sehr ein Großteil der Politiker und auch der Journalisten quasi zwanghaft einer Blocklogik aufgesessenen sind. Die eigentliche Aufgabe seriöser journalistischer Tätigkeit besteht darin, als neutraler Beobachter alle Aspekte eines Geschehens zunächst wertfrei zu beleuchten. Aber viele Mitglieder dieser Zunft  schienen dies nahezu ins Gegenteil zu verkehren! Sie schlugen sich parteiisch auf eine Seite der Konfliktparteien – in den deutschen Medien auf die Seite der USA und EU. Bekannte Meinungsmacher ließen sich vollkommen unkritisch in den Mainstream einer Russland abwertenden Kampagne einreihen – fast als wären sie die fünfte Kolonne der USA. Gott sei Dank gibt es Ausnahmen. Manche Journalisten und Politiker vertreten eine sehr differenzierte, unparteiische, sich in alle Seiten – auch die russische - einfühlende Sicht. Dazu gehören – meiner Ansicht nach - die Journalisten Gabriele Krone-Schmalz, , der Linken-Politiker Gregor Gysi, der Moderator Ken Jebsen  und der CDU-Politiker Willy Wimmer und Andere. Ich werde später auf einige dieser Personen und ihre Beiträge zurückkommen. (*da es sich bei Ken Jebsen um eine politisch recht umstrittene Figur handelt, habe ich für Jebsen-Kritiker eine Fußnote in den Kommentaren dazu geschrieben)

Was allerdings in der Verblendung der Mainstream-Parteilichkeit hauptsächlich geschah könnte man in einem „Kurzhandbuch der Propaganda“ nachlesen: Die Machthaber der Gegenpartei sind „die Bösen“. Sie werden als undemokratisch, aggressiv und machtbesessen abgestempelt. Ihre Handlungen sind unberechenbar und eigennützig. Sie brechen Völkerrecht. Im extremen Fall werden sie gern mit dem - schon inflationär gebrauchten - Modewort „Terroristen“ abgestempelt und zum Abschuss frei gegeben.
Wer sind die „Guten“? Natürlich die eigene Seite. Die lobt sich dann als vernünftig, fair und friedliebend. Ihre Handlungen entspringen ausschließlich einer hehren Motivation, deshalb sind sie wohlmeinend und angemessen. Die „Guten“ versprechen Hilfe bei der Sicherung von demokratischer Freiheit, territorialer Integrität oder rechtmäßiger Selbstbestimmung. Die eigenen Verfehlungen und selbstbezogenen Beweggründe werden vollständig ausgeblendet und auf den Gegner projiziert.
Aus  solchen spaltenden Sichtweisen resultieren blitzschnell Rechte-Quadranten- Eingriffe: Staaten schränken ihre politischen und diplomatischen Beziehungen ein. Die „bösen Machthaber“ und „Schurken-Staaten “ werden von internationalen Zusammenkünften ausgeschlossen. Man fordert oder verhängt Wirtschaftssanktionen. Schaukelt sich die Stimmung weiter hoch, kommt es zu militärischen Drohgebärden oder gar realen, gewaltsamen Interventionen. Am Ende steht der „gerechte Krieg für den Frieden“.

Inneres Auge blind

Man beachte: Alles was in diesem Text bisher über politische Konflikte beschrieben wurde betrifft ausschließlich eine äußere Betrachtung. Eine differenzierte Betrachtung des inneren Erlebens der beteiligten Menschen ist in vielen politischen Reflektionen in radikaler Weise unterbelichtet, ja wird manchmal sogar gänzlich ausgeblendet. In der Sprache des Integralen Modells herrscht hier ein Quadranten-Absolutismus der beiden rechten Quadranten. Die linken Quadranten des inneren Erlebens werden unterdrückt. Es scheint fast so, als wäre die Welt der Politik auf einem ganzen Auge – nämlich dem inneren – blind.
Sicherlich stehen Entscheidungsträger in der heutigen Weltpolitik unter großem Handlungsdruck. Sie glauben vermutlich, sie müssten rasch die richtigen Entscheidungen treffen und schnell äußere Erfolge vorweisen. Doch worauf beruhen Entscheidungen und Handlungen, wenn wir die mitschwingenden inneren Aspekte einer politischen Situation in hohem Maße vernachlässigen?

Inneres beleuchten

Um die innerliche Dimension eines politischen Geschehens bewusst zu beleuchten, müssten wir im gleichen Maß, wie wir das Außen betrachten, nach dem Innen fragen. Das geht nur im Gespräch mit den Beteiligten: Wie geht es ihnen innerlich? Welche Bedürfnisse, Sehnsüchte und Hoffnungen haben sie? Was genau fühlen sie? Welche Motivation und welche Einstellungen treibt ihr Handeln an? Erleben sie Ängste, Sorgen oder Frustration? Gibt es emotionalen Schmerz oder Traumata, die einbezogen werden müssen? Worüber definieren sie ihr Selbstgefühl? Was brauchen sie, um Zufriedenheit und Glück zu erleben? Welche Strategien verfolgen sie dazu? Das alles sind Fragen des oberen linken Quadranten. Man spürt intuitiv, wie wichtig sie sind.
Und auch nach dem unteren linken Quadranten (dem inneren kollektiven Erleben) können wir fragen: Wie sehen die Weltsichten der Menschen aus? Welche Werte verbinden die Individuen? Welchen Ideen folgen sie? Wie entsteht ein Wir-Gefühl zwischen den Menschen? Wer gehört diesem Wir an, wer nicht und wieso? Wie wird miteinander kommuniziert und Verständnis hergestellt? Was trennt Individuen voneinander und was verbindet sie?
 
Auf solche Fragen finden wir keine Antworten, wenn wir das politische Geschehen nur distanziert von außen betrachten und über die Menschen reden. Nein, wir müssen in einen einfühlsamen Dialog treten. Erst durch eine offene und neugierige Haltung können wir ergründen, was in den Menschen – sowohl den Machthabern, als auch den „kleinen Leuten“ - unmittelbar vor sich geht.
Was ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen tut, ist untrennbar damit verbunden, was sie empfinden, fühlen und denken. Handlung isoliert von Einstellung, Emotion und Motivation zu betrachten reicht nicht aus. Es ist genauso wichtig, das innere Erleben zu kennen, wie das äußere Verhalten zu beobachten. Das ist wahrlich keine neue Erkenntnis, aber warum wird sie in der Politik so wenig umgesetzt?

Nachbarschaftskrieg mit Vorwurfssalven

Gerade in Konfliktsituation scheint es allerdings eine menschliche Grundneigung zu sein: Anstatt unser inneres Erleben zu erkunden, linsen wir lieber auf das Außen und suchen dort nach dem Schuldigen. Das zeigt sich schon in den kleinen Auseinandersetzungen des Alltags mit Beziehungspartner oder Nachbarn: „Du hast wieder diese Unordnung angestellt. Das hättest Du nicht tun sollen!“ „Naja, nur weil Du Dich auch immer in meine Sachen einmischst. Lass das!“ Bleiben wir im Streit bei Betrachtungen auf der Handlungsebene stecken, nützt das oft wenig. Im Gegenteil: Vorwürfe und Änderungsforderungen schaukeln sich nur gegenseitig hoch. „Du hast…“ – „Nein, Du bist…“ – „Ne Du…“ – „Quatsch, Du…“ – „Du!“ – „Du!“ – „Du!“ – „Du!“ … . Solche verbalen Schlagabtausche klingen schnell wie Salven aus einer Maschinenpistole. Der Streit eskaliert. Am Ende herrscht Beziehungs- oder Nachbarschaftskrieg.

Psycho-spirituelle Intelligenz

Menschen, die sich intensiv mit psychologischen und spirituellen Ansätzen beschäftigen, wissen sehr genau, was echte Hilfe in Zerwürfnisse bringt: Die Einbeziehung des inneren Erlebens. Sie ist unabdingbar, um auch im Außen Klarheit und heilsame Lösungen zu finden.
Dabei begegnen wir der Herausforderungen, unser inneres Ereleben sehr genau unter die Lupe nehmen und zunächst zu einer Haltung der Nicht-Reaktion finden zu müssen. Hier ist emotionale und spirituelle Intelligenz gefragt: Können wir auf schnelle Interpretationen, Wertungen und Verurteilungen verzichten und stattdessen offen für eine neutrale Sichtweise sein? Können wir von Projektionen und Vorwürfen zurück zu unserem eigenen innerem Erleben kommen? Ist es möglich, uns einzugestehen, dass wir zunächst überhaupt nicht wissen, was das „Richtige“ und „Falsche“ ist? Sind wir bereit, uns auch dem Aufwallen von unangenehmen Gefühlen in uns zu stellen, ohne uns in gewohnten Abwehrreaktionen gehen zu lassen? Können wir auch die Schattenbereiche unserer Psyche, wie Ängste, Zorn und Hilflosigkeit, achtsam einbeziehen, ihnen mit Annahme begegnen und Raum geben?

Fühlen verbindet

Sobald wir die Bereitwilligkeit aufbringen, unser inneres Erleben aufrichtig einzubeziehen und ohne Wertung zu erfahren, beruhigt sich ein Großteil unserer Erregung. Wir hören auf, unserem Gegenüber Vorwürfe in Du-Botschaft an den Kopf zu werfen. Wir fangen an, über unsere eigenen Erfahrungen aus einer Ich-Perspektive zu sprechen: „Ich war einfach enttäuscht, dass Du nicht gesehen hast, wie wichtig mir die Ordnung ist.“ Oft spürt unser Konfliktpartner dann schnell, dass wir ihm eigentlich nichts Böses wollen. Er erlaubt sich dann ebenfalls, über sich selbst sprechen. „Ach so. Ich wollte doch auch nur, dass Alles seinen Platz hat. Das sieht bei  mir nur manchmal anders aus. Dann habe ich einen Schreck bekommen, als Du so heftig reagiert hast und bin deshalb wohl wütend aufgetreten.“ Begegnen wir uns mit Verständnis auf dieser menschlichen Gefühlsebene, verändert sich die Stimmung rasch. Wir werden gelassener und friedvoller. Schließlich gelingt es uns sogar, uns in das Erleben unseres Gegenübers einzufühlen: „O.K. Ich glaube, ich weiß jetzt besser, was Du und ich eigentlich wollen. Lass uns doch noch mal neu schauen, ob wir eine Lösung finden können, die für uns beide stimmig ist.“
Durch Einfühlung entsteht ein Raum gegenseitigen Verständnisses und Wertschätzung für die hinter den Handlungen stehenden Gefühle und Bedürfnisse. Die ausgelösten Emotionen dürfen in der Weiträumigkeit echten Mitgefühls schwingen und lösen sich dann wie von alleine auf. Oft wollen beide Konfliktparteien etwas durchaus Achtenswertes, auch wenn die Strategien, es zu erreichen, gegenläufig sein mögen und sich ungut auswirken. Doch sobald die „positive Absicht“ – wie es in der Hypnotherapie so hilfreich genannt wird – gefunden ist, entspannt sich der Konflikt. Dann tauchen oft frische Ideen und Handlungsmöglichkeiten auf.

Wuchtige Aufgaben

Ein solch gelassenes und besonnenes Vorgehen ist bereits im alltäglichen Umfeld eine wuchtige Aufgabe. Schon bei belanglosen Auseinadersetzungen über das Herunterbringen des Mülls oder die Reinigung des Treppenhauses geht es manchmal hoch her: Eingeschliffene Gewohnheiten stoßen aufeinander. Emotionsvulkane brechen aus. Fronten verhärten. Um wieviel mehr brodelt es, wenn es in großen politischen Konflikten um viel gewichtigere Sachverhalte geht: Um Gewalt. Um Vertreibungen. Um Folterungen. Um Mord und Totschlag.
Vermutlich ist die Verlockung dort umso größer: Anstatt, dass sich die Konfliktparteien einem Prozess der Selbstreflektion stellen und sich Einfühlung für sich selbst und ihre Gegenüber zu erlauben, scheint es leichter auf den Anderen zu schauen. Dann werden mit Pauschalurteilen schnell die „Bösen“ ausfindig gemacht und auf der Handlungsebene mit Bestrafung gedroht oder Belohnung gelockt. Solches Vorgehen lässt die inneren Aspekte, die hinter dem Verhalten liegen, unberücksichtig. Deshalb bleiben Lösungen äußerlich verordnet und halbherzig. Konflikte schwelen meist untergründig weiter oder verschieben in andere politische Felder. Umso dringlicher werden Konfliktlösungen, die alle Dimensionen der Lebens und Erlebens einbeziehen!

Innehaltende Politiker?

Doch haben unsere heutigen Politiker und Machthaber überhaupt die Bereitwilligkeit und Fähigkeit, sich in das Innenleben einer politischen Krisensituation einzufühlen? Mir scheint es nicht gerade so. Sicher, es gibt immer wieder Gesprächsversuche auf diplomatischer Ebene mit dem Ziel, friedliche Lösungen zu finden - zuletzt in Bezug auf die Ukraine-Krise das Treffen der Außenminister in Genf. Tatsächlich würde ich dort gern mal Mäuschen spielen und lauschen, wie diese Gespräche ganz konkret ablaufen. Meine Vermutung ist, dass auch solche Verhandlung mit einem einseitigen Fokus auf äußere Faktoren und Lösungsmöglichkeiten ausgerichtet sind. Ich vermute die vielfältigen Aspekte inneren Erlebens werden kaum berücksichtig - geschweige denn einfühlsam erkundet.
Kann ein Frank Walter Steinmeier - ohne sofort Partei zu ergreifen - offen erfragen und sich emotional einschwingen, welche Bedürfnisse und Gefühle auf allen Seiten zu Tage treten? Kann eine Angela Merkel ihre eigenen Ängste wahrnehmen und sie erst einmal zulassen, ohne in vorauseilender Pflichttreue zu Bündnispartnern oder hinter dem Schutzschild einer „neuen deutschen Stärke“ Sicherheit zu suchen? Kann ein Wladimir Putin sich seines zornigen Machtdranges bewusst werden und das dahinterliegende Gefühl der Schwäche zulassen, ohne zwanghaft mit den Muskeln zu protzen? Ist ein Barack Obama fähig innezuhalten, seine eigene Hilflosigkeit zu spüren und sich einzugestehen, dass das Saubermann-Image der USA als „Supermacht des Völkerrechts“ längst der Vergangenheit angehört? Ich weiß es nicht. Doch ich vermute sie können es alle nicht! Oder sie haben es schlicht und einfach nicht gelernt, aufrichtig mit und achtsam für ihr eigenes inneres Erleben zu sein.
Ich spreche diesen Politikern keineswegs eine positive Absicht ab. Ich glaube sogar, sie meinen aus ganzem Herzen wirklich gut. Viele von ihnen verfügen sowohl über enormes historisches und politisches Wissen, als auch über Erfahrung mit den Tanzschritten auf dem politischen Parket. Doch offensichtlich reicht das nicht. Warum? Weil es nur die – äußere – Hälfte der Welt ist. Das innere Gefühl für den zwischenmenschlichen Tanz fehlt. Dann werden die eigenen Füße zu brandgefährlichen Stolperfallen.

Raum geben

Um der inneren Dimension in schweren politischen Krisen angemessenen Raum zu geben bräuchte es viel: Erfahrene Vermittler müssten um die Bedeutung der inneren Dimension wissen und fähig sein, dies den Konfliktparteien auf eine überzeugende Art zu vermitteln. Sie müssten die Fähigkeit haben, zu einem höchstmöglichen Maße neutral zu bleiben indem sie auf sämtliche trennenden und spaltenden Beiträge verzichten, bzw. sie als solche erkennen und entkräften. Zugleich bräuchte es Menschen, die auch emotional schwingungsfähig sind. Denn neben mentaler Neutralität ist auch eine Atmosphäre tiefgreifenden Mitgefühls erforderlich. Das Leid aller Beteiligten muss authentisch geachtet und gewürdigt werden, bevor es um Lösungen gehen kann! Erst durch das freien Zulassen auch des schlimmsten Schmerzes können sich die Parteien der Leid erzeugenden Auswirkungen ihres Handelns bewusst werden. Das ist bei Leibe keine Gefühlsduselei, sondern die unabdingbare Einbeziehung eines seelischen Verarbeitungs- und Heilungsprozesses.
Aus solch einem politischen Einfühlungsprozess könnten dann Lösungen hervorgehen, die nicht mehr nur Symptom verschiebendes Flickwerk darstellen, sondern nachhaltig den Bedürfnissen aller gerecht werden. Das würde wirksam Versöhnung und Frieden herstellen und wahren.

Experten für das Innen

Es scheint mir,  dass es für diese Art von Konfliktklärung Menschen braucht, die eine hohe psychologisch-spirituelle Reife gerade auf der Dimension inneren menschlichen Erlebens verwirklich haben. Als Beispiel fällt mir hier der vietnamesische Zen-Mönch Thicht Nath Than. Er ist auch auf der politischen Bühne kein Unbekannter. Immerhin hielt er 2003 in Washington eine Rede vor Mitgliedern des amerikanischen Kongresses und leitete sogar einen Workshop für sie. Viele waren sehr berührt von ihm und seiner Arbeit.
Oder wie wäre es mit dem Mediator Marshall Rosenberg, Begründer der Gewaltfreien Kommunikation. Er wandte seine einfühlsame Kommunikationsmethode selbst unter schwierigsten Umständen, wie bei der Vermittlung zwischen verfeindeten Volksgruppen in Israel, Palästina, Ruanda und Kroatien, erfolgreich an.
Auf jedenfalls braucht es Menschen mit tiefen spirituellen Erkenntnissen, die zunächst für sich selbst eine Ebene von innerer Ruhe und Erfüllung erfahren haben, die unabhängig von materiellem Wohlstand, sozialer oder territorialer Zugehörigkeit ist. Nur ein  Mensch, der zu einem großen Maß in der allumfassenden Liebe transzendenten Seins ruht, weiß: Es gibt eine Ebene des Seins, die alle Menschen miteinander verbindet, egal welcher Rasse, welchem Staat, welchen Religionsgruppe oder politischen Ausrichtung sie angehören. Erst so ein Mensch kann die erforderliche Gelassenheit aufbringen, inmitten von verfeindeten Stellungen ein Höchstmaß an geistiger Offenheit und Mitgefühl zu bewahren - und dies eventuell auch Anderen vermitteln.

Globale Integrale Mediatoren-Teams

Außerdem bräuchte es vermutlich „Überblicks-Experten“, die sich gut mit einer integralen Sichtweise (im Sinne Ken Wilbers) auskennen. Diese könnten den Konfliktparteien die Bedeutung des inneren Erlebens – und anderer integraler Aspekte - in einer größeren Gesamtschau plausibel darstellen und zu einem integralen Vorgehen motivieren. Kooperierende Teams aus Fachkundigen für das Außen (Politikern), das Innen (psychologisch-spirituell geschulten Mediatoren) und für ein Überblickswissen (integrale Gelehrte) wären vermutlich die wirksamste Krisenprävention und -intervention, die man sich vorstellen könnte.
Vermutlich müssten solche Teams in bereits bestehen internationalen und globale Institutionen eingebettet werden. Da scheint aktuell die OSZE (Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa) vielleicht die beste Wahl. Oder aber es bräuchte die Gründung neuer „globaler integraler Mediatorenteams“ zum Beispiel im Rahmen der UN.
(Tatsächlich weiß ich nicht, ob es solche Impulse nicht schon längst gibt. Nach meinen bisherigen Recherchen scheint es zwar – gerade im Rahmen der OSZE – durchaus einige Konfliktvermittlungs und -lösungsstrategien zu geben, die aber die in diesem Text erwähnten „inneren Perspektiven“ nahezu unberücksichtigt lassen. Ich lasse mich aber von sachkundigen Lesern gerne eines Besseren belehren. Bitte dafür die Kommentarfunktion nutzen)

Einfühlung in die „russische Seele“

Das Erkunden des inneren Erlebens führt auch in der Krim-Krise zu einem viel umfassenderem Verständnis, als wenn wir ausschließlich die äußeren Sachverhalte betrachten. Dazu müssen wir nach den linken Quadranten fragen: Welche inneren Regungen und Impulse bewegen den russischen Machthaber, so zu handeln, wie er es getan hat? Was fühlt er - und viele andere Russen, die seinen politischen Kurs unterstützen? Wie geht es der „russischen Seele“?  Was sind Russlands Interessen und Bedürfnisse, die zum Beispiel zu der „Annektierung“ der Krim geführt haben? Welche Bedürfnisse und Stimmungen haben die Menschen in den verschiedenen Regionen der Ukraine? Was bewegt sie? Worüber definieren sie sich? Was frustriert sie? Was macht ihnen Sorgen? usw.
Solche Fragen sollen keineswegs das Vorgehen und die Strategien Putins - und mit ihm sympathisierenden Menschen – rechtfertigen. Doch bei einer Erkundung des Inneren, ist das äußere Verhalten und Handeln zunächst sekundär. Wir wollen uns erst einfühlen und Verständnis aufbringen bevor wir bewerten und handeln. Die angesprochene Journalistin Gabrielle Krone-Schmalz erwähnt in einem Interview eine Indianerweisheit, die eine solche Einfühlung betont: "Großer Geist, gib, dass ich meinen Nachbarn nicht eher tadele, als dass ich eine Meile in seinen Mokasins gewandert bin". Krone-Schmalz meint: Guter Journalismus zeichnet sich dadurch aus, sich in „die Lebensrealität derjenigen zu versetzen, über die man berichtet“. Eine solche journalistische Haltung weist auf die große Bedeutung einer Linken-Quadranten-Perspektive hin. Dies ist ein wichtiger Bestandteil eines reifen, integralen Journalismus. (Interview mit Gabrielle Krone-Schmalz zur Kritik an der Berichterstattung der Medien bezüglich der Ukraine-Krise http://www.youtube.com/watch?v=22VfEe1RkH8)

Mut zur Weichheit

Das hier beschriebene politische Einfühlungsvermögen mag sich zunächst nach einer sehr weichen - ja geradezu schwächlichen - Haltung  anhören. Doch haben wir nicht schon oft genug erfahren, wie gerade eine Haltung der Härte und Stärke zerstörerischeren Streit und Gewalt immer weiter ankurbelt? Könnte es sich da nicht lohnen, Mut zu Weichheit und vermeintlicher Schwäche aufzubringen? Könnten wir nicht mal wagen, unserem Gegenüber mit einem Vertrauensvorschuss entgegenzukommen, statt gleich aus der Misstrauensknarre Schuldzuweisungen zu feuern? Ganz nebenbei: Eine kurze Erinnerung an das neue Testament und die Haltung Jesu könnte es übrigens den deutschen sogenannten „christlich-demokratischen“ Politkern erleichtern, zu einer offeneren Haltung zurückzufinden.
Tatsächlich ist Verständnis das beste Eingangstor zur Klärung von Zerwürfnissen. Fühlt sich ein Konfliktpartner erstmal auf einer inneren Erlebensebene verstanden und „abgeholt“, ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass auch er weicher wird. Die Spirale gegenseitiger Schuldvorwürfe entschraubt sich. Beide Parteien wagen mehr und mehr, sich auf eine kooperative Haltung einzulassen. In einer Atmosphäre gegenseitigen Verständnisses keimt wieder Vertrauen auf. Das Gegeneinander wird von einem Miteinander abgelöst. Ein gemeinsamer Raum für neue Möglichkeiten öffnet sich wieder.

Verständnis für Bedrohungsempfinden

An dieser Stelle möchte ich kurz inhaltlich konkreter werden und zumindest einen Teilaspekt einer Erläuterung des inneren Erlebens und des Verhaltens der russischen Regierung anbieten. Ich weiß sehr wohl, dass dies nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtbildes darstellen kann. Doch es ist wichtig, auch diesen Blickwinkel einzunehmen, gerade weil ein solcher in der einseitigen Berichterstattung westlicher Medien bisher viel zu kurz gekommen ist.
Gestützt werden die folgenden Darstellugen zum Beispiel auch von dem CDU-Politiker Willy Wimmer. Wimmer war Mitglied des deutschen Bundestages und viele Jahre Staatsekretär im Verteidigungsministerium. Er verfügt über handfeste politische und international vernetzte Erfahrung auf höchsten staatlichen Ebenen. Nach seinen Schilderungen (zum Beispiel in einem Online-Interview von KenFM: http://www.youtube.com/watch?v=faL4zRUdQTA) wird verständlich, dass sich das aktuelle russische Verhalten vor allem aus der Bedrohung russischer Sicherheits- und Schutzbedürfnisse erklären lässt. Gespeist wird das Empfinden der Bedrohung unter anderem durch einen Vertrauensbruch von Absprachen beim Zustandekommen des Zwei-plus-Vier-Vertrages im Jahr 1990. Hier ging es um die Einbindung des wiedervereinten Deutschlands in die NATO. Bei den Verhandlungen gaben höchste politische Funktionäre des Westens und des Nato-Militärs den Sowjets klare mündliche Zusicherungen: Aus Rücksicht auf das Sicherheitsempfinden der Sowjetunion - nach der Eingliederung der ehemaligen DDR-Gebiete in die NATO - versicherten die Westmächte den Sowjets, auf jede weitere Osterweiterung des westlichen Militärbündnisses zu verzichten. Solche Vereinbarungen wurden anscheinend nicht schriftlich in den Vertrag aufgenommen, bestanden aber als klare mündliche Übereinkommen und Zusicherungen. Wimmer meint, dass dieser Sachverhalt von vielen hochrangigen Zeugen bestätig werden könnte.

Konfrontation statt Kooperation?

Trotz diese Zusicherungen sah die reale politische Entwicklung sehr schnell ganz anders aus: Innerhalb der nächsten 20 Jahren gab es eine massive Osterweiterung der NATO – unter anderem durch die Aufnahme von Polen, Tschechien, Ungarn, die baltische Staaten und andere. Wir können uns vielleicht vorstellen, dass die russische Seite durch diesen Vertrauensbruch eine große Enttäuschung erlitt. Die Angst vor einer westlichen Übermacht verstärkte sich.
Hinzukommt der Ärger und die Frustration, die Russen – und wohl auch viele westlichen, politisch sensibilisierten Menschen - erfahren haben, wenn sie den Kurswandel der weltpolitischen Orientierung der Westmächte in den letzten 15 Jahren mitbekamen: Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurden globale Organisationen wie die Vereinten Nation (UN) und später die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) gegründet. Diese sollten durch einen Kurs der offenen Kooperation zwischen den Nationen ein friedliches Zusammenwirken garantieren und damit Kriege verhindern. Die UN, als weltweite Gemeinschaft aller Staaten, sollte dabei idealer Weise ein globales Machtmonopol innehaben und dadurch militärische Übergriffe einzelner Staaten verhindern. Doch die USA haben sich im Laufe der letzten 15 Jahre immer mehr aus dem weltpolitischen Kurs der globalen partnerschaftlichen Zusammenarbeit verabschiedet. Anstelle der Kooperation trat die Strategie der Konfrontation. Die USA vertrat ihre eigenen Ansichten und Interessen zunehmend aggressiv ohne Rücksicht auf UN oder völkerrechtliche Sichtweisen. So kam es beispielsweise zu Militäroperationen der USA und teilweise auch der NATO-Bündnispartner in Jugoslawien und im Irak, welche ohne UN-Mandat ausgeführt wurden. CDU-Mann Wimmer bezeichnet beide Militäreinsätze als "ordinäre Angriffskriege". Solche Beispiele machen deutlich, wie sich der Charakter der NATO als ein vormalig „reines Verteidigungsbündnis“ hin zu einem wesentlich aggressiverem Machtfaktor entwickelt hat. Sicher sind hier auch die Russen keine zahmen Kätzchen. Sie haben auch Einiges an schlimmer militärischer Gewalt zu verantworten. Dennoch kann man sich vorstellen, wie das immer aggressivere Vorgehen der Westmächte ein Gefühl der Bedrängnis und Unsicherheit verstärkte.

Der letzte Tropfen

Ein weiteres einschüchterndes militärisches Element stellt sicherlich der geplante US-Raketenschirm da. Dieser würde ein erneutes militärisches Ungleichgewicht zu Ungunsten Russlands befeuern. Der Tropfen, der wohl das Fass des Bedrohungsempfindens von Russland schließlich zum Überlaufen brachte, war vermutlich die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU im März 2014, das auch eine militärische Zusammenarbeit einschließt.
Versetzten wir uns angesichts dieser äußeren politischen und strategischen Entwicklungen in die Lage russischer Machthaber und Bürger: Wird da nicht verständlich, dass dies in vielen Menschen Enttäuschung, Wut und vor allem Angst ausgelöst hat? Ich finde: Ja.
Noch einmal sei an dieser Stelle betont: Eine solche Einfühlung soll keineswegs die Strategien russischen Vorgehens in der Ukraine oder Verfehlungen in anderen politischen Bereichen rechtfertigen. Wir wollen uns einfach nur einfühlen, was die „russische Seite“ empfinden, fühlen und denken könnte.
Ich verzichte aus Platzgründen in diesem Text darauf, eine solche „einfühlende Analyse“ auch für die Gefühls- und Bedürfnislage auf Seiten der Westmächte und der unterschiedlichen Gruppierungen der Ukrainer zu durchzuführen. Dies wäre genauso erforderlich! (Schon deshalb, weil berechtigte Kritik an den USA oft in einen Topf mit  blindem Antiamerikanismus und verrückten Verschwörungstheorien geworfen wird. Dies ist hier überhaupt nicht meine Absicht!!!)

Mit-Gefühl an einem Tisch

Stellen wir uns zum Schluss nur noch mal kurz vor: Wie wäre es, wenn alle Beteiligten eines Konfliktes in einem hier beschriebenen Geist an einem Tisch sitzen würden. Wie wäre es, wenn diese – vielleicht angeleitet durch einen nicht-wertenden und mitfühlenden Mediator – nicht nur darüber sprechen, was, wer, wann, wo, wie getan hat und tun will, sondern auch erkunden, wie das innere Erleben aller Beteiligten ganz genau aussieht. Wo und wie wurde Enttäuschung und Schmerz erlebt? Wer ist wovon frustriert oder worauf ärgerlich? Welche Bedürfnisse und Sehnsüchte tauchen bei den Beteiligten auf? Dürfen Verwirrung, Angst, Wut, Scham, Betroffenheit und andere aufgeladenen Emotionen zunächst Raum haben und erlebt werden – ohne dass sie sofort bewertet werden? Was treibt das Handeln der Parteien Handeln an? Was sind die „guten Absichten“ der Beteiligten für sich selbst oder die Gruppen, die sie vertreten? Welche Auswirkungen haben ihre Handlungen auf das innere Erleben der Anderen? Gibt es eine Bereitwilligkeit zum Innehalten, zur Versöhnung und eventuell sogar zur Vergebung? Was wird dazu von wem gebraucht?  Was verbindet die Konfliktparteien? Wie könnten Lösungen aussehen, die sich für alle stimmig anfühlen?
Wäre es nicht viel lebendiger, interessanter und vermutlich wirksamer, alle diese Ebenen des menschlichen Erlebens in einen Klärungsprozess einzubeziehen? Ich bin der Überzeugung: Ja!


Frieden aufs Schlachtfeld


Es mag sich utopisch anhören, solche Ansätze der Konfliktlösung auf schwere Krisen der Weltpolitik anwenden zu wollen. Vielleicht müssen wir erst damit anfangen, uns mit einer neuen Kultur der Innerlichkeit in Fällen leichterer politischer Konflikte oder des politischen Umgangs überhaupt vertraut zu machen. Und es beginnt mit Sicherheit damit, dass wir uns selbst höchstpersönlich in der eigenen Familie, mit Freunden oder Nachbarn für Innehalten und Innerlichkeit öffnen.
Zugleich bete ich für die Möglichkeit, dass sich bald schon „Globale Integrale Mediatoren-Teams“ auf die Schlachtfelder von Mord- und Totschlag dieser Welt wagen und dort Gehör finden.

Mögen alle Wesen in Frieden und Harmonie leben.

Om Shanti

Torsten Brügge, Hamburg 6.5.2014

www.bodhisat.de