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Bildquelle: Hartwig Kopp-Delaney flickr-Photostream

  

Auf das mystische Erleben der Ich-Losigkeit wird aus vielen konzeptuellen Perspektiven geschaut. Allgemein bekannt sind hier zum Beispiel die »anatta-Lehre« im Buddhismus und auch die verschiedenen Sichtweisen des klassischen »Advaita vedanta« und des so genannten »Neo-Advaita«. Ihnen gemein ist der Ansatz, auf die Formlosigkeit des Ich-Erlebens beziehungsweise das Aufgehen des Ichs im All-Einen hinzuweisen.  

Einen ganz anderen Versuch unternehmen die Stufenmodelle von Entwicklungs-Theoretikern: Ihnen geht es in ihren Konzepten um die Wandlung der Ich-Erlebens-Formen im menschlichen Lebenslauf. Eines davon möchte ich hier mal heraus greifen, weil ich es phänomenologisch besonders gut einfühlbar finde: „Die Entwicklungs-Stufen des Selbst“ von Robert Kegan. Er zeichnet sein entwicklungspsychologisches  Modell als aufsteigende Spirale, die durch 6 verschiedene Stadien führen kann.  

Die 6 Stufen nennt er Subjekt/Objekt-Gleichgewichtszustände. Was ist damit gemeint? Robert Kegan unterscheidet die wichtigen Etappen in unserem Ich-Erleben danach, welche Wahrnehmungen und Erlebnisse wir jeweils als zu uns gehörig, subjektiv oder »meinhaft« erleben und was uns als objektiv, und nicht zu uns gehörig, erscheint. Auf alles, was einem Subjekt als ein Objekt vorkommt, kann es Bezug nehmen.

Entwicklungspsychologen gehen heutzutage davon aus, dass bei einem Neugeborenen alle Wahrnehmungen in einem subjektiven Raum auftauchen und noch keine Unterschiede zwischen »innen« und »außen« gemacht werden. Hunger, der von innen kommt, wird ähnlich unangenehm erlebt, wie zum Beispiel grelles Licht, das von außen auf es einwirkt. Genauso ist es mit angenehmen Erlebnissen. Diesen Gleichgewichtszustand nennt er die Stufe 0 bzw. das »einverleibende Selbst«. Die Außenwelt wird hier völlig ins Ich-Erleben integriert oder anders ausgedrückt: Alles ist »ich«, es gibt noch kein »du«. 

Stufen 1 bis 4 – die »normal-menschliche« Entwicklung 

Die Stufen 1 – 4 in Kegans Modell könnte man grob mit »Kleinkind« (1: impulsiv), »Schulkind« (2: autonom), »Jugendlicher« (3: zwischenmenschlich) und »Erwachsener« (4: institutionell) betiteln. Ihre Organisationsformen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass sich die Grenze zwischen wahrgenommenem »ich« und erlebtem »nicht-ich« immer weiter nach innen verschiebt: Der als »zum ich gehörige« Teil des Erlebens wird also im Laufe des Lebens immer kleiner, die Bezugs-Welt (Objekt-Bereich) dieses »ich« immer größer.  

Robert Kegan beschreibt in seinem Modell eindrucksvoll, wie sehr die jeweilige Ich-Stufe, die Wahrnehmung (Konstruktion) unserer Innen- und Außenwelt verändert. Ein Kleinkind (Stufe 1) erlebt sich noch in einer sehr raumgreifenden Innenwelt, die von Emotionen und Impulsen geprägt ist. Seine Außenwelt tritt vornehmlich als Erfüllungsgehilfe seiner Wünsche, bzw. grenzsetzende Instanz in Erscheinung. Für das Schulkind (Stufe 2 - autonom) hat die soziale Umgebung schon eine viel größere Reichweite: Da gibt es neben der Kleinfamilie Gleichaltrige (eine peer-group), mit denen man sich arrangieren muss und Autoritätspersonen wie Lehrer fordern erste gesellschaftliche Anpassungsleistungen. Der Jugendliche (Stufe 3) entdeckt und erlebt das »Du« als bedeutungsvolles zwischenmenschliches Gegenüber, und die Freude und das Leid, das ihm dort Angenommen-Sein und Zurückgewiesen-Werden bereiten können.  

Als die besondere Errungenschaft des Erwachsenen-Alters stellt Kegan heraus, dass sich hier das »Ich« zum ersten Mal als eine »Institution« erlebt: Die Bedeutungsentwicklung erreicht hier „eine Stufe, auf der das Selbst einen stimmigen Zusammenhalt auch dann wahrt, wenn es an verschiedenen Beziehungen mit anderen beteiligt ist; damit erlangt das Selbst Identität. Kennzeichnend für dieses Selbst ist die eigene Autorität - wir haben nun ein Selbstempfinden, wir besitzen Selbstständigkeit, wir gehören uns selbst. Nicht mehr »ich bin meine Beziehungen«, sondern »ich habe Beziehungen«. Das neue Ich ist die Instanz (Institution), die dieses Haben verursacht.“ Gefühle werden nun „durch einen übergeordneten Bezugsrahmen relativiert, nämlich durch die psychische Institution und durch zeitgebundene Konstruktionen wie Rolle, Norm, Selbst-Konzept, Selbst-Kontrolle, die diese Institution aufrechterhalten.“ (S. 141/142) 

Entwicklung bedeutet Wandel und Umbruchskrisen 

An der wiederholten Verschiebung der Ich-Grenzen wird schon deutlich, wie wenig Sinn es macht, das »Ich« als eine feststehende Instanz zu betrachten. In dieser Sichtweise ist es ein sich ständig wandelnder Bezugspunkt. Den Begriff  »Mensch« definiert Kegan als »eine immer fortschreitende Bewegung, die ständig einer neuen Gestalt entgegenstrebt« (S. 27). 

Die Umbrüche und Wandlungen der Stadien im »Selbst-System Mensch« verlaufen immer krisenhaft, wie er eindrucksvoll aufzeigt. Die »Krise« wird hier also als ein Normalfall betrachtet, der immer dann eintritt, wenn eine Organisationsform sozusagen ausgedient hat und im Lebensfluss durch eine neue ersetzt werden wird: Das Alte greift nicht mehr recht, das Neue ist noch nicht stabil vorhanden. Kegan lehnt sich dabei an den bekannten Schweizer Pädagogen Jean Piaget an, der das in vielen eindrucksvollen Experimenten für die kognitive Entwicklung des Menschen nachgewiesen hat.  

In den instabilen Übergangsphasen ist auch die Wahrnehmung und Konstruktion des Bedeutungssystems variabel: Mal wird die Wirklichkeit nach dem alten Bezugsrahmen interpretiert, dann wieder nach dem neuen. Immer braucht es einiges an Einübung, bis sich ein neues Gleichgewicht auf neuem Niveau stabilisiert hat. Die Übungsaufgaben stellt das Leben selbst. Einem Kind muss niemand sagen, wie es etwas zu lernen hat. Seine Entwicklung wird – wenn keine Störeinflüsse eintreten – von einem inneren, natürlichen und schöpferischen Prozess geführt, der nach einem »Stirb-und-Werde-Prinzip« abläuft. 

Die Entwicklung zum überindividuellen Gleichgewicht – Stufe 5 

Aus der Perspektive des an spirituellen Themen interessierten Erwachsenen erfährt im Entwicklungsmodell Robert Kegans der Übergang zur Stufe 5 ein besonderes Augenmerk: Was passiert den nun hier in der Bedeutungsbildung unserer Ich- und Selbstbezüge, wenn eine als Identität erlebte innere »Institution« abdanken muss und durch welches neue Gleichgewicht wird sie dann eigentlich ersetzt?  

„Nun beginnt man mit dem Entwurf einer Weltanschauung, welche Widersprüche und Gegensätze integrieren und sich nach mannigfaltigen Denksystemen richten kann. Zunehmend sieht man ein, dass es bei dem »Projekt Leben« nicht darum geht, den Fortbestand einer bestimmten Form des Selbst zu verteidigen, sondern um die Fähigkeit, das Selbst an sich buchstäblich transformativ sein zu lassen. Das Selbst könnte man als eine Art Durchschreiten verschiedener Bewusstseinsformen beschreiben und nicht als die Identifizierung mit einer dieser Formen, die es dann zu verteidigen gilt.“ 

Das Verlassen der institutionellen Stufe des Erwachsenen-Ichs bedeutet also in diesem Modell die Des-Identifikation von jeglicher Form und das Zulassen eines sich ständig-wandelnden Bewusstsein. Am Anfang der Übergangsphase dorthin werden alle Formen erstmal verlassen und aufgelöst, um sie dann in eine neue Perspektive zu re-integrieren. „Wenn man sich dieser konstruktiv-transformativen Seite annähert, dann erlangt man die Fähigkeit, mit all jenen Ideologien erneut in Beziehung zu treten und zu erkennen, dass sie alle unvollständig und einseitig sind.“ 

Entmystifizierung der Ich-Losigkeit 

Die laufende Um-Organisation unserer Selbst-Wahrnehmung und das Eintreten in ein Bewusstsein, in dem sie mit keiner Form mehr identifiziert ist, wird hier also als ganz natürliche Entwicklungsmöglichkeit im Erwachsenenalter betrachtet. Kein mystischer Hokuspokus, kein Besonders-Sein! Allerdings haben Kegans Forschungen auch ergeben, dass nur etwa 20% der erwachsenen amerikanischen Bevölkerung überhaupt die vierte Organisations-Stufe (die erwachsene Ich-Organisation!) erreicht haben und nur ein verschwindend geringer Anteil davon, sich darüber hinaus entwickeln kann. Ein voll verwirklichtes überindividuelles Ich-Bewusstsein kann er selbst sich nur mühsam vorstellen, eine Entwicklung darüber hinaus nicht mehr (vgl. WIE-Interview).  

Entwicklung zur Selbst-Losigkeit 

Die höchste Gleichgewichts-Stufe  in diesem Modell kennt keine Grenze mehr zwischen Subjekt und Objekt und sie umfasst die Errungenschaften aller vorherigen Stufen. Ein Kreis schließt sich. Diese Integration enthält auch den Säugling, das Kleinkind, das Schulkind, den Jugendlichen und den Erwachsenen in uns. Selbst-Losigkeit bedeutet, mit keinem davon identifiziert sein – schon gar nicht mit dem, vom Leben verletzten und bedürftig gebliebenen, kindlichen Anteil.   

Gleichzeitig beinhaltet sie die Vielfalt aller menschlichen Seins-Weisen: Hingebungs- und vertrauensvoll wie ein Säugling, impulsiv und abgrenzend wie ein Kleinkind, die Außenwelt erobernd wie ein Schulkind, sich der Leidenschaft und Beziehungen hingebend, wie ein Jugendlicher, verantwortungsvoll und gesellschaftliche Rollen übernehmend wie ein Erwachsener.  

Alles zu seiner Zeit! 

*****

 Literatur:

Kegan, R.: Entwicklungsstufen des Selbst. München, 1994, 3.Aufl.
WIE-Was ist Erleuchtung 8: Bist du bereit, dich jetzt zu ändern? Zur Dynamik menschlicher Transformation, Frühjahr 2003.

 

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Posted by on in Marianne Gallen

 

Ich hatte schon immer eine besondere Vorliebe für Stufenmodelle. Als kleines Kind stand ich stundenlang im Treppenhaus meiner Großmutter und studierte fasziniert obiges Bild – immer wieder:  Jedes Lebensalter wird hier in seiner Besonderheit gewürdigt. Einen zentralen Platz bekommt die Begegnung zwischen Alt und Jung. Das Junge kommt, das Alte geht – im gegenwärtigen Moment gibt es eine tiefe Berührung. 

 

Entwicklung zum Ursprung 

Der menschliche Lebenslauf macht für mich eindrucksvoll deutlich, dass es eben gerade nicht um ständiges Wachstum geht, wie uns das die Leistungsgesellschaft gerne vorgaukeln will. Das Leben verläuft viel eher zyklisch: Kreise schließen sich, immer wieder. Am vermeintlichen Ende beginnt alles von neuem. 

Und dennoch gibt es Abfolgen und Stufen, die nicht umkehrbar sind. Das eine ist die Weiterentwicklung des anderen, bringt etwas qualitativ Neues und schließt dennoch Vorangegangenes mit ein. Zum Schluss kehrt alles jedoch wieder zu seinem Ursprung zurück. Eine Paradoxie, die gedanklich schwer zu fassen ist und doch beim Betrachten des Lebenslauf-Bildes ganz selbstverständlich erscheint.

 

Würdigen des jeweiligen Standpunkts 

Neugeborene und Babys scheinen völlig zufrieden mit ihrem gegenwärtigen Dasein zu sein, solange für ihre Bedürfnisse gut gesorgt wird. Andere kümmern sich um ihr Überleben. Als Erwachsene sehnen wir uns manchmal in diese Unbeschwertheit zurück. Sobald das Kind sich jedoch bewegen lernt, will es irgendwo hin, woanders als es gerade ist, der Kreislauf des Leids (Samsara) ist geboren. Hört man Kleinkindern zu, die gerade sprechen gelernt haben, dann kommt häufig der Satz: „Wenn ich mal groß bin …“ Groß-Sein ist aus Kinder-Perspektive sehr attraktiv. 

Was mich an der Darstellung »Stufenjahre des Menschen« besonders fasziniert: Obwohl sie sicher in einer Zeit entstanden ist, in der die Lebenserwartung eines Erwachsenen durchschnittlich um die 60 Jahre betrug, hat der Lebenslauf eine absolute Symmetrie. Der aufsteigende Ast und der absteigende Ast sind gleich lang und damit im Gleichgewicht abgebildet. Keiner erscheint dadurch höherwertiger als der andere. Die Jugend hat im Lebenslauf genauso ihren Platz wie der Greis – auch wenn dieser zum »Kinderspott« wird. 

Die jeweiligen Stufen symbolisieren für mich das Innehalten – Standortbestimmung in der Gegenwart: Wo stehe ich gerade? Was bringe ich mit? Was ist mir möglich? Was steht an? Sich umsehen, genau hinsehen, an der Stelle des Zeitkontinuums, an der ich mich gerade befinde, stoppt das Hamsterrad des Woanders-hinwollens. Das Leben findet im gegenwärtigen Moment statt. 

 

Modelle spiritueller Entwicklung 

Stufenmodelle gibt es auch im spirituellen Bereich:  Das Kundalini-Modell, der »Aufstieg auf den Berg Karmel« des Johannes v. Kreuz, die »Ochsenbilder des ZEN-Buddhismus«,  die integrale Ich-Entwicklung eines Ken Wilber, um nur einige zu nennen. Häufig werden sie nur so gelesen, als wäre das Ankommen auf irgendeinem Gipfel das Ziel, die »himmlische Hochzeit«, die »Erleuchtung«, das »Aufgehen im Eins-Sein«. Aber auch hier gibt es nicht nur die Entwicklung des Werdens, sondern auch die hin zum Sterben, die immer parallel läuft. Wer den Berg erklimmt, muss den ganzen Weg dann wieder herunter steigen. Alles was entsteht, vergeht auch wieder.  Die Zeit schreitet unweigerlich voran, wir können nichts festhalten.  

Ein Weiser  erlebt nicht einfach einen kontinuierlichen Zuwachs an Weisheit, sondern er vergisst gleichzeitig, dass es so etwas wie Wissen überhaupt gibt. Ein anonymer englischer Mystiker nannte sich einmal – diesen Umstand beschreibend – die »Wolke des Nicht-Wissens«.  Mein Systemtheorie-Lehrer bezeichnete diesen Vorgang als die »Evolution des Vergessens« und nahm an, dass Gott sie besonders amüsant findet.  

 

Die Dimension der Zeitlosigkeit 

Der Perspektiven-Wechsel: Vom Standpunkt des Non-Dualen (Nicht-Zwei) gesehen, erkennen wir sowohl unsere Konzepte einer kontinuierlich ablaufenden Zeit, als auch den Entwicklungsgedanken als selbst-täuschende Illusionen.  

In einer radikal-konstruktivistischen Sicht klingt das so: „In der Meditation wird versucht, diese Grundtäuschung und damit das Empfinden einer kontinuierlich ablaufenden Zeit zu durchschauen. Die Beobachterinstanz, welche diesen Ablauf der Zeit durchschauen kann, wird als zeit-los betrachtet. Wenn es dem Menschen gelingt, sich mit der letzten Beobachterinstanz zu identifizieren, kann er dadurch aus der Gefangenheit in der Zeit ausbrechen. …  In der Vollendung kann das Zeitempfinden sozusagen fließend ein- und ausgeschaltet werden, ja löst sich eigentlich die Unterscheidung zwischen Zeit und Nicht-Zeit auf. Dieser Zustand, das Erwachen oder die Erleuchtung genannt, muss nicht den Ausstieg aus der irdischen Daseinsform bedeuten, sondern einen Ausstieg aus der inneren Gebundenheit daran.“ Quelle 

Die Perspektive des Nicht-Zwei kennt also keine Zeit- und auch keine Entwicklungsdimensionen. Daher gibt es hier auch kein »unreif-reifer«, kein »vorher-nachher«, kein »unerwacht-erwacht«. All diese Kategorisierungen sind (mögliche) Perspektiven des Dualen.  

Immer, wenn wir das Wachsen und Werden des Lebendigen beobachten und erforschen wollen, bewegen wir uns also im Bereich der Relativität. Entwicklungs-Betrachtung ist anders nicht möglich.

 

Stufen der Ich-Entwicklung 

Mein bevorzugtes Stufen-Modell der Ich-Entwicklung stammt aus einem pädagogisch-psychologischen Kontext:  »Die Entwicklungsstufen des Selbst« von Robert Kegan. In diesem Modell geht es um die qualitativen Veränderungen unseres Ich-Erlebens während des Lebenslaufs, die nach der Auffassung des Autors einige Stufen durchlaufen. (Ich werde das in einem weiteren Blog-Beitrag noch ausführlicher darstellen.) 

Auch hier findet eine »Evolution des Vergessens« statt: ICH vergisst sich selbst. Es hört auf, sich für eine Institution (Form) zu halten. Gleichzeitig bleiben die Errungenschaften und Qualitäten aller früheren Stufen bestehen: Das Vertrauen und die Hingabe des Säuglings, der Trotz und das Autonomiebedürfnis des Kleinkinds, die Weltfähigkeit des Schulkinds, die Liebes- und Beziehungslust des Jugendlichen und sogar die Fähigkeiten zur Verantwortlichkeit, Rollenübernahme, Selbst- und Fremd-Reglementierung, die dem erwachsenen Ich-Gefüge zugeschrieben werden.  

Jede Evolution beinhaltet ein Werden und ein Sterben gleichzeitig. Wenn man Stufenmodelle auf diese Weise interpretiert und benutzt, dann hören sie auf, ein ehrgeiziges »höher, schneller  und weiter« vorzugaukeln. Sie dienen so einfach als Landkarten, die nützlich sein können, gerade stattfindende Bewegungen im Menschenleben wahrzunehmen und zu würdigen.  

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Dieses digitale Bild hat der Künstler „focus of attention“ genannt – Fokus der Aufmerksamkeit.  

Wir Menschen besitzen die wunderbare Freiheit, unseren Aufmerksamkeitsfokus zu verlagern.  

Je nachdem, welchen Blick-Winkel ich einnehme, verändern beobachtendes Ich und Wahrgenommenes ihre Beziehung zueinander. Wenn sie zusammenfallen, wird die Welt der Erscheinungen als Eins (Nicht-Zwei) erfahren.  

Die Perspektive des Nicht-Zwei 

In der Perspektive des Nicht-Zwei (Non-Dualität), fallen außen und innen, ich und der andere, Licht und Schatten, alle Polaritäten der Erscheinungswelt in sich zusammen. Stille macht sich breit, welch eine Entspannung! Erscheinungen werden aus dieser einen Quelle geboren und kehren wieder dorthin zurück. In Bewegungslosigkeit verharrend, scheint das Wechselspiel der Phänomene wie ein Tanz, an dem Niemand teilnimmt.  

Das Leiden am Ich und an der Person hört hier auf, sie existieren nicht mehr. Schmerzfreiheit? Kummer und Sorgen, Zwischenmenschliches, die Mühsal des Lebens, werden zu einer kleineren Welle im großen Ozean des Gewahrseins. Das Leben und der Tod: Ereignisse in einem Kontinuum des Ungetrennten.  

Die Perspektive der Zweiheit 

Zweiheit kann aus verschiedensten Blickwinkeln wahrgenommen werden. Jede davon eröffnet ein anderes Erlebens-Universum. Die mikroskopische Betrachtung erschließt den Mikrokosmos, der Blick in die Weite den Makrokosmos. Ein nach innen gerichtetes Auge rückt das subjektive Erleben in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, der Szenenwechsel in die Außenwelt lässt Gegenstände erscheinen. Wird scharf fokussiert, entstehen klare Formen und Konturen im Bewusstsein, bei weicherer Einstellung verschwimmen die Eindrücke.  

Die Wahrnehmungswelt spaltet sich auf in Subjekt und Objekt: Jemand erkennt etwas und nimmt es in sein Bewusstsein auf. Der Beobachter kann dabei unterschiedliche Brillen auf der Nase haben, die wie Filter auf die Inhalte einwirken oder sie in einem speziellen Licht erscheinen lassen. Konzepte, an die wir glauben, nehmen Einfluss auf die erkannte Realität.

 

Die gefestigte Perspektive 

Halten wir fest an der einen, immer gleichen Perspektive, dann laufen wir Gefahr, sie mit einer Wahrheit oder Realität zu verwechseln. Für manche ein Ideal: Ein Mensch mit einer gefestigten Meinung. Sein Aufmerksamkeits-Fokus ist zementiert im immer gleichen Blickwinkel. An-Sichts-Sache: Die Meinung zu einem Inhalt ergibt sich aus dem Referenz-Punkt des Betrachters.  Der so erkannte Wirklichkeits-Ausschnitt, hat keine Chance, sich zu wandeln.  

Ebenso ist es mit dem toten Winkel dieses Zusehers. Das Ausgeblendete befindet sich immer an der gleichen Stelle, der blinde Fleck auch. Manchmal wird so ganz vergessen, dass es auch ganz und gar Unbemerktes im Wahrnehmungsfeld gibt – Schattenphänomene und Verborgenes.  

Die Freiheit  

Durch den Wechsel der Perspektiven wird hier die Freiheit zurück erobert: Mal von innen, mal von außen, mal im Kleinen, mal im Großen, mal von unten, mal aus dem Vogelflug betrachtet, verändert sich das Aussehen der Dinge. Die Vielfalt ihrer Erscheinungsweisen, ihr Tanz im Universum wird so gesehen. Die Angst vor der erstarrten Form verschwindet. 

Auch Einsichten und Meinungen dürfen sich wandeln. Nichts muss mehr in Zement gegossen werden. Fest gefahrene Kommunikation kommt so wieder ins fließen. Verständnis wird möglich, wo vorher nur Gegensätze aufeinander prallten.  

Und wenn die eine Perspektive „gold“ sagt und die andere „weiß“, entstehen keine Unversöhnlichkeiten mehr, sondern reine Freude über die Vielfalt des Lebens.

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Posted by on in Wolf Schneider

Hallo Torsten,

nachdem ich gesehen hatte, dass du in deinem Blogeintrag vom 8. Mai Ken Jebsen aufgrund von Benjamin Krämers Einwand erst rausgenommen, ihn dann wieder reingenommen hast, fühlte ich mich angetickt, da doch mal selbst zu schauen, wer das ist. Ich kannte Jebsen bisher nicht. (In manchen Fällen funktioniert das Skandalisieren also, um bekannt zu werden).

(Aufgrund eines technischen Problems hatte ich Monate lang keinen Blogeintrag schreiben können und hatte auch keine Lust bzw. keine Zeit, mich dem Problem zu widmen. Nun habe ich es heute endlich mithilfe meines Webredakteurs lösen können. Dank also auch in der Hinsicht an Ken Jebsen ;-)

Ich hab mir dann den Youtube-Film angesehen, auf den du gelinkt hast, in dem er von einem Radio-Redakteur der Piraten interviewt wird und habe trotz der Länge dieses Films ihn bis zu Ende gesehen. Aus verschiedenen Gründen: wegen der m.E. tatsächlich existierenden Maulkörbe bzgl. Israel und Palästina, wegen der leidigen Frage was (politisch) braun und deshalb für Gutmenschen "untouchable" ist, und auch weil sein Ranting so nervt und doch so faszinierend leidenschaftlich ist, alles das hat mich dabei festgehalten.

Erstmal: Ich finde es gut, dass du Jebsens Namen in deinen Blog-Text wieder reingenommen hast. Er hat was zu sagen. Ausgrenzen ist (meist) keine gute Methode. Auch wenn Jebsen in manchem irrt (wie du und ich und wir alle) ist das kein Grund, ihn auf Verdacht als Braunen (Rechten) zu behandeln, nur um dadurch nicht selbst in Verruf zu kommen. Ausgrenzungsmethoden der politischen Korrektheit sind nicht nur nur Denkblockaden, innovationsfeindlich und einer Diskussionskultur unwürdig, sie sind auch menschlich unfein, können in Mobbing ausarten, haben schon 'Existenzen' (wirtschaftlich) vernichtet und Menschen in den Selbstmord getrieben. Obwohl es andererseits verständlich ist, dass man sich mit Menschen, die einen aufgrund einer Besessenheit, eines Ticks oder sonst einer Verirrung nerven, nicht beschäftigen will. Ich auch nicht. Ich möchte soweit ich kann der Souverän bleiben, der selbst entscheidet, welchem Thema er sich zuwendet.

Falls dieser Film über Jebsen ihn in seiner typischen Art zeigt, ist es eine arge Strapaze mit ihm einen Dialog führen zu wollen, denn er redet vor allem selbst gerne, viel, schnell und laut. Getrieben von seiner Wichtigkeit hat er keine Scheu, seinen Gesprächspartner zu unterbrechen überschüttet ihn dann wie ein Wasserfall. Oder eher – wegen der Wutladung seiner Rede – wie eine Maschinengewehrsalve. 

Jebsen findet Israel aggressiv. Da hat er recht. Israels Umgang mit den Palästinenern ist unmenschlich, und das wird nur nur von den USA so unterstützt und gut geheißen, sondern weitgehend auch von Deutschland, natürlich aufgrund des Schuldkomplexes Holocaust. Wer zu diesem Thema forscht und die Ergebnisse nicht für sich behält, greift in ein riesiges Wespennest voller Verdächtigungen, Maulkörbe, Missverständnisse und übler Nachrede. Da scheint mir – das hat Jebsen trotz seiner wütenden Art gut zur Sprache gebracht – ein Opferbewusstsein die Wurzel zu sein. Gewalttäter handeln oft im Opferbewusstsein. 

Der schlimmste Krieg aller Zeiten wurde am 1. September 1939 begonnen mit dem Angriff der deutschen Truppen auf Polen und Hitlers im Radio verkündeten Worten "Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen". Zurückgeschossen??? Es war doch ein Angriff und zudem auf einen viel schwächeren Gegner. Hitler selbst hatte ein Opferbewusstsein (das im 1. Weltkrieg unterlegene Deutschland, vom Versailler Vertrag gegängelt, das Gefühl von zu wenig Lebensraum usw.), und das verschmolz bei diesem Angriff mit dem aus verschiedenen Gründen ähnlichen Opferbewusstsein der Deutschen, kräftig unterstützt von raffinierter Propaganda. Man wollte den Eindruck erwecken sich zu verteidigen, während man angriff. 

Jeder Mensch hat ja eine gewisse Scheu vor Gewalt, aber wenn man in Not ist und sich verteidigen muss, gilt Gewalt als gerechtfertigt, deshalb versucht der Angreifer, insbesondere bei kriegführenden Mächten, sich als Opfer darzustellen, als selbst angegriffen und in Notwehr handelnd. So ja auch die Angriffe der USA auf Afghanistan und Irak nach 9/11, bei denen sich gemäß der Suggestionen ihrer Regierung der Großteil der US-Amerikaner als Opfer empfand, das sich gegen "die Terroristen" verteigen müsse.

Durch den Holocaust waren die Juden in eine maximale, kaum zu übertreffende Opfersituation geraten, was ja auch von fast jedem auf der Welt so gesehen und anerkannt wird. Und sie haben recht damit: Sie waren Opfer. Das gilt aber längst nicht mehr in dem Maße für den Staat Isreal, schon gar nicht seit dem Sechstagekrieg von 1967. Israel ist im Nahen Osten heute eine Großmacht. Die Opfer sind heute die Palästinenser. (Das alles sind natürlich Pauschalaussagen, im Einzelfall mag es auch mal anders aussehen. Sprache macht unvermeidlich immer Pauschalaussagen.) Die Israelis aber empfinden sich als Opfer, glauben sich in einer Notwehrsituation und deshalb berechtigt, Gewalt anzuwenden. Das prangert Jepsen zu recht an.

Nun ist Jepsens wütender Monolog aber selbst eine Art von Gewaltäußerung. Seine Wortkaskaden kommen mir vor wie Maschinengewehrsalven. Er redet seine Gegner nieder, sogar den ihm freundich gesonnen Radioredakteur redet er quasi über den Haufen. Wer Jebsen zuhört, kann nun leicht sich selbst als Opfer fühlen, niedergeredet, zugetextet, nicht gehört, nicht zu Wort gekommen – Jepsens Rede ist verbale Gewalt. Da muss man schon sehr viel Verständnis für Zusammenhänge haben, um nun nicht Jepsen zu attackieren, und so setzt sich die Gewalt unendlich fort.

Einwand: Jebsen wendet verbale Gewalt an, um Verhältnisse anzuprangen, die physische Gewalt anwenden. Verbale Gewalt – "Empörung" (Stephane Hessel) – gegen Verhältnisse übermächtiger physischer Gewalt, vielleicht ist das in manchen Situationen nicht nur verständlich, sondern gut. Anderseits traue ich einem Menschen, der wie ein Maschinengewehr redet auch physische Gewalt zu. Vielleicht lässt er so Dampf ab – Hunde, die bellen, beißen nicht. Vielleicht aber redet er sich dabei in Rage und ist danach noch wütender als voher. Ich weiß es nicht. Und ich habe wirklich nur diesen Film von ihm gesehen, sonst nichts, und habe auch keinen Text von ihm gelesen. 

Trotzdem: Danke für die Gelegenheit zu dieser Untersuchung des Gewaltpotenzials von Opferbewusstsein!

LG

Wolf

 

 

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Dieser Text beinhaltet:

…  eine Fürsprache für eine ganzheitliche Wahrnehmung in politischen Konflikten, einschließlich innerer Erlebensanteile

…  ein Einfühlungsversuch in die „russische Seele“ bezüglich des Ukraine-Konflikts

…  eine Anregungen zur Bildung von globalen integralen Mediatoren-Teams

Bei der Beschäftigung mit der politischen Krise in der Ukraine ist mir noch einmal bewusster geworden, was ich an politischen Diskussionen und Handlungsweisen oft als einseitig empfinde. Diese Einseitigkeit trägt zu unbefriedigenden Konfliktlösungen und manchmal sogar schlimmen Eskalationen bei. In diesem Beitrag erläutere ich, um welche Art von Einseitigkeit es sich handelt, wie sie durch erweiterte Sichtweisen ergänzt werden kann und welche hilfreiche Auswirkung dies hat.
Ich will in Kürze andeuten, was ich unten ausführlich und konkret beschreibe: Politische Betrachtungen fokussieren oft zu sehr auf äußere Sachverhalte und vernachlässigen das innere Erleben der beteiligten Menschen. Solch eingeengte Perspektive erschwert es, zu ganzheitlichen Betrachtungen und nachhaltigen Lösungen zu kommen. Was wir brauchen ist nicht nur politisches Denken und Handeln, sondern eine neue Art des politischen Fühlens und Einfühlens. Dies wird erst durch ein hohes Maß an psychologischer und spiritueller Bewusstheit möglich. Politische Einfühlung stellt eine große Herausforderung da. Gelingt es uns aber, auch das innere Erleben beteiligter Menschen aus einer wertfreien und liebevollen Haltung zu beleuchten, öffnet sich ein Raum für ungeahnte Potentiale. Fronten weichen auf. Spannungen lösen sich. Neuartige Lösungen tun sich auf. Frieden wird möglich. Und - wer weiß - vielleicht rückt sogar eine belächelte Utopie wie „der Weltfrieden“ in greifbarere Nähe.

Nur Außen - kein Innen

Für eine genaue Betrachtung dieses Themas ist ein philosophisches Konzept äußerst hilfreich: Das "Integrale Modell des Bewusstseins" von dem amerikanischen Gelehrten Ken Wilber. Es setzt sich aus fünf Grundelemente zusammen: Quadranten, Entwicklungsebenen, Bewusstseinszuständen, Entwicklungslinien, Typologien. In ihrer Kombination bilden sie – nach Wilber – eine "Theorie von Allem". Ob man dieser hochtrabenden Aussage zustimmt oder nicht, meiner Ansicht nach eröffnet uns dieses Modell viele sehr hilfreiche Sichtweisen.
Gerade eine Betrachtung der „Quadranten“ kann für politische Sichtweisen und den Bereich der Konfliktklärung eine große Bereicherung sein. (Natürlich sind auch die anderen Elemente, gerade die Bewusstseinsebenen, genauso bedeutend, doch in diesem Text möchte ich zunächst nur auf die Quadranten eingehen)
Wilbers "Quadranten-Modell " besagt, dass jedes Phänomen des Lebens sich immer in vier Anteilen entfaltet. Hier eine kleine Einführung in die Thematik:
(wer schon mit dem Konzept der vier Quadranten vertraut ist kann diese überspringen und ab der Überschritt „Bitte alles einbeziehen“ weiterlesen)

Quadranten nach Wilber

Von innen wahrnehmen

Es gibt einen subjektiven, individuellen Anteil (oberer linker Quadrant, siehe auch Grafik). Das sind alle Erfahrungen, die ein Ich innerlich erlebt: Empfindungen. Gefühle. Gedanken. Glaubensmuster. Bedürfnisse. Selbstidentitätsempfinden usw. Die Wissenschaft der Psychologie - unter anderen Wissenschaftsdisziplinen – richtet ihren Fokus auf Erkenntnisse dieses Quadranten.
Das innerliche Erleben eines Individuums ist zugleich eingebettet in ein innerliches Gruppenerleben. Kommen mehrere Individuen zusammen, ergeben sich Anteile der Wirklichkeit, die Wilber im linken unteren Quadranten verortet. Hier spielt Kommunikation eine wichtige Rolle. Mehrere Ichs tauschen sich nonverbal und verbal aus. Es entsteht eine  gemeinsame Sprache. Kollektive Glaubensmuster und Identitäten bilden sich. Das „Wir“ teilt Werte, Gruppengefühle und gemeinsame Bedürfnisse. All das sind Themen einer innerlich, kollektiven Sichtweise (linker, unterer Quadrant). Als wissenschaftliche Paradedisziplin könnte man unter anderem Soziologie und Aspekte der systemischen Psychologie nennen.
Wichtig: Die Welt der beiden innerlichen Quadranten kann nicht einfach von außen wahrgenommen werden. Gedanken, Gefühle und Werteinstellungen können wir nicht als distanzierter Wissenschaftler mit dem Auge oder einem Mikroskop beobachten. Dieser Anteil der Wirklichkeit muss durch Dialog und offenes Einfühlen erfragt und erspürt werden.

Von außen beobachten

Dann gibt es noch die beiden rechten Quadraten. Sie beschäftigen sich mit von außen sicht- und messbaren Phänomenen. Aus der Sicht des rechten, oberen Quadranten beobachtet man das Individuum von außen. Man macht Aussagen über seine Gestalt, seine physische Zusammensetzung und sein Verhalten. Körperzustände. Lebensvorgänge im Organismus. Hirnaktivitäten. Solche Wissensfelder spielen hier eine Rolle. Die klassische Schulmedizin mit ihren Wurzeln in den Naturwissenschaften von Physik, Chemie und Biologie wären hier als Forschungszweige zu nennen.
Bleibt noch der vierte Quadrant (unten, rechts): Er beschäftig sich mit äußeren kollektiven Erscheinungen: Hier geht es um die Außenbetrachtung der Vernetzung individueller Elemente. Um komplexe Wechselwirkungen zwischen Lebewesen in der Biosphäre unseres Planeten. Um Entstehung von kulturellen Institutionen und politischen Systemen im Miteinander von Menschen. Die Systemwissenschaften erforschen diesen Quadranten.

Bitte alles Einbeziehen

Ken Wilber leitet aus diesem Quadranten-System eine eindringliche Bitte - ja Forderung - ab: Um ein beliebiges Geschehen in der Welt klar betrachten und dann angemessen Handeln zu können sollten wir immer alle vier Perspektiven einbeziehen. Ansonsten bleiben unsere Betrachtungen unvollständig, einseitig und wirken sich schädlich aus. Aus einer weisen Geisteshaltung heraus geschieht eine solche Einbeziehung aller Perspektiven oft intuitiv. Zugleich hilft uns die bewusste Reflektion aller Quadranten, Einseitigkeiten zu vermeiden und eine umfassende Sichtweise zu eröffnen. Ich wünschte möglichst viele Journalisten und Politiker würden von dieser Möglichkeit hören und sie nutzen!

Wahrer Journalismus ade?

Schauen wir uns die öffentliche Diskussion in den deutschen Massenmedien in den ersten Wochen der Ukraine-Krise an. Worauf richten Politiker und Journalisten ihren Fokus? Welche Perspektiven werden eingenommen und dargestellt? Ganz oft reden Meinungsmacher über die äußeren Aspekte des politischen Geschehens - also über die beiden rechten Quadranten des Wilber-Modells: Es geht um das beobachtbare Verhalten von Machthabern und Bevölkerung. Journalisten berichten, was, wer, wann, wo getan oder gelassen hat. TalkshowmoderatorInnen palavern mit ihren Gästen darüber, welche politischen und wirtschaftlichen Systeme wie beeinflusst werden, welche Regionen und Volksgruppen betroffen sind, welche Gesetze oder Verträge gebrochen wurden.  Politiker beziehen sich auf Parallelen in der Geschichte. Staatsmänner - und Staatsfrauen - spekulieren über den Einsatz von diplomatischen, wirtschaftlichen oder militärischen Machtinstrumenten. Bei all diesen Themen handelt es sich um Rechte-Quadranten-Perspektiven.

Propaganda Mainstream

Hinzu kommt, dass aktuelle Reflektionen oft von einem oberflächlichen, trennenden Schwarz-Weiß-Denken durchzogen sind. Besonders in der ersten Zeit der Krim-Krise – und auch jetzt noch - erschreckte es mich, wie sehr ein Großteil der Politiker und auch der Journalisten quasi zwanghaft einer Blocklogik aufgesessenen sind. Die eigentliche Aufgabe seriöser journalistischer Tätigkeit besteht darin, als neutraler Beobachter alle Aspekte eines Geschehens zunächst wertfrei zu beleuchten. Aber viele Mitglieder dieser Zunft  schienen dies nahezu ins Gegenteil zu verkehren! Sie schlugen sich parteiisch auf eine Seite der Konfliktparteien – in den deutschen Medien auf die Seite der USA und EU. Bekannte Meinungsmacher ließen sich vollkommen unkritisch in den Mainstream einer Russland abwertenden Kampagne einreihen – fast als wären sie die fünfte Kolonne der USA. Gott sei Dank gibt es Ausnahmen. Manche Journalisten und Politiker vertreten eine sehr differenzierte, unparteiische, sich in alle Seiten – auch die russische - einfühlende Sicht. Dazu gehören – meiner Ansicht nach - die Journalisten Gabriele Krone-Schmalz, , der Linken-Politiker Gregor Gysi, der Moderator Ken Jebsen  und der CDU-Politiker Willy Wimmer und Andere. Ich werde später auf einige dieser Personen und ihre Beiträge zurückkommen. (*da es sich bei Ken Jebsen um eine politisch recht umstrittene Figur handelt, habe ich für Jebsen-Kritiker eine Fußnote in den Kommentaren dazu geschrieben)

Was allerdings in der Verblendung der Mainstream-Parteilichkeit hauptsächlich geschah könnte man in einem „Kurzhandbuch der Propaganda“ nachlesen: Die Machthaber der Gegenpartei sind „die Bösen“. Sie werden als undemokratisch, aggressiv und machtbesessen abgestempelt. Ihre Handlungen sind unberechenbar und eigennützig. Sie brechen Völkerrecht. Im extremen Fall werden sie gern mit dem - schon inflationär gebrauchten - Modewort „Terroristen“ abgestempelt und zum Abschuss frei gegeben.
Wer sind die „Guten“? Natürlich die eigene Seite. Die lobt sich dann als vernünftig, fair und friedliebend. Ihre Handlungen entspringen ausschließlich einer hehren Motivation, deshalb sind sie wohlmeinend und angemessen. Die „Guten“ versprechen Hilfe bei der Sicherung von demokratischer Freiheit, territorialer Integrität oder rechtmäßiger Selbstbestimmung. Die eigenen Verfehlungen und selbstbezogenen Beweggründe werden vollständig ausgeblendet und auf den Gegner projiziert.
Aus  solchen spaltenden Sichtweisen resultieren blitzschnell Rechte-Quadranten- Eingriffe: Staaten schränken ihre politischen und diplomatischen Beziehungen ein. Die „bösen Machthaber“ und „Schurken-Staaten “ werden von internationalen Zusammenkünften ausgeschlossen. Man fordert oder verhängt Wirtschaftssanktionen. Schaukelt sich die Stimmung weiter hoch, kommt es zu militärischen Drohgebärden oder gar realen, gewaltsamen Interventionen. Am Ende steht der „gerechte Krieg für den Frieden“.

Inneres Auge blind

Man beachte: Alles was in diesem Text bisher über politische Konflikte beschrieben wurde betrifft ausschließlich eine äußere Betrachtung. Eine differenzierte Betrachtung des inneren Erlebens der beteiligten Menschen ist in vielen politischen Reflektionen in radikaler Weise unterbelichtet, ja wird manchmal sogar gänzlich ausgeblendet. In der Sprache des Integralen Modells herrscht hier ein Quadranten-Absolutismus der beiden rechten Quadranten. Die linken Quadranten des inneren Erlebens werden unterdrückt. Es scheint fast so, als wäre die Welt der Politik auf einem ganzen Auge – nämlich dem inneren – blind.
Sicherlich stehen Entscheidungsträger in der heutigen Weltpolitik unter großem Handlungsdruck. Sie glauben vermutlich, sie müssten rasch die richtigen Entscheidungen treffen und schnell äußere Erfolge vorweisen. Doch worauf beruhen Entscheidungen und Handlungen, wenn wir die mitschwingenden inneren Aspekte einer politischen Situation in hohem Maße vernachlässigen?

Inneres beleuchten

Um die innerliche Dimension eines politischen Geschehens bewusst zu beleuchten, müssten wir im gleichen Maß, wie wir das Außen betrachten, nach dem Innen fragen. Das geht nur im Gespräch mit den Beteiligten: Wie geht es ihnen innerlich? Welche Bedürfnisse, Sehnsüchte und Hoffnungen haben sie? Was genau fühlen sie? Welche Motivation und welche Einstellungen treibt ihr Handeln an? Erleben sie Ängste, Sorgen oder Frustration? Gibt es emotionalen Schmerz oder Traumata, die einbezogen werden müssen? Worüber definieren sie ihr Selbstgefühl? Was brauchen sie, um Zufriedenheit und Glück zu erleben? Welche Strategien verfolgen sie dazu? Das alles sind Fragen des oberen linken Quadranten. Man spürt intuitiv, wie wichtig sie sind.
Und auch nach dem unteren linken Quadranten (dem inneren kollektiven Erleben) können wir fragen: Wie sehen die Weltsichten der Menschen aus? Welche Werte verbinden die Individuen? Welchen Ideen folgen sie? Wie entsteht ein Wir-Gefühl zwischen den Menschen? Wer gehört diesem Wir an, wer nicht und wieso? Wie wird miteinander kommuniziert und Verständnis hergestellt? Was trennt Individuen voneinander und was verbindet sie?
 
Auf solche Fragen finden wir keine Antworten, wenn wir das politische Geschehen nur distanziert von außen betrachten und über die Menschen reden. Nein, wir müssen in einen einfühlsamen Dialog treten. Erst durch eine offene und neugierige Haltung können wir ergründen, was in den Menschen – sowohl den Machthabern, als auch den „kleinen Leuten“ - unmittelbar vor sich geht.
Was ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen tut, ist untrennbar damit verbunden, was sie empfinden, fühlen und denken. Handlung isoliert von Einstellung, Emotion und Motivation zu betrachten reicht nicht aus. Es ist genauso wichtig, das innere Erleben zu kennen, wie das äußere Verhalten zu beobachten. Das ist wahrlich keine neue Erkenntnis, aber warum wird sie in der Politik so wenig umgesetzt?

Nachbarschaftskrieg mit Vorwurfssalven

Gerade in Konfliktsituation scheint es allerdings eine menschliche Grundneigung zu sein: Anstatt unser inneres Erleben zu erkunden, linsen wir lieber auf das Außen und suchen dort nach dem Schuldigen. Das zeigt sich schon in den kleinen Auseinandersetzungen des Alltags mit Beziehungspartner oder Nachbarn: „Du hast wieder diese Unordnung angestellt. Das hättest Du nicht tun sollen!“ „Naja, nur weil Du Dich auch immer in meine Sachen einmischst. Lass das!“ Bleiben wir im Streit bei Betrachtungen auf der Handlungsebene stecken, nützt das oft wenig. Im Gegenteil: Vorwürfe und Änderungsforderungen schaukeln sich nur gegenseitig hoch. „Du hast…“ – „Nein, Du bist…“ – „Ne Du…“ – „Quatsch, Du…“ – „Du!“ – „Du!“ – „Du!“ – „Du!“ … . Solche verbalen Schlagabtausche klingen schnell wie Salven aus einer Maschinenpistole. Der Streit eskaliert. Am Ende herrscht Beziehungs- oder Nachbarschaftskrieg.

Psycho-spirituelle Intelligenz

Menschen, die sich intensiv mit psychologischen und spirituellen Ansätzen beschäftigen, wissen sehr genau, was echte Hilfe in Zerwürfnisse bringt: Die Einbeziehung des inneren Erlebens. Sie ist unabdingbar, um auch im Außen Klarheit und heilsame Lösungen zu finden.
Dabei begegnen wir der Herausforderungen, unser inneres Ereleben sehr genau unter die Lupe nehmen und zunächst zu einer Haltung der Nicht-Reaktion finden zu müssen. Hier ist emotionale und spirituelle Intelligenz gefragt: Können wir auf schnelle Interpretationen, Wertungen und Verurteilungen verzichten und stattdessen offen für eine neutrale Sichtweise sein? Können wir von Projektionen und Vorwürfen zurück zu unserem eigenen innerem Erleben kommen? Ist es möglich, uns einzugestehen, dass wir zunächst überhaupt nicht wissen, was das „Richtige“ und „Falsche“ ist? Sind wir bereit, uns auch dem Aufwallen von unangenehmen Gefühlen in uns zu stellen, ohne uns in gewohnten Abwehrreaktionen gehen zu lassen? Können wir auch die Schattenbereiche unserer Psyche, wie Ängste, Zorn und Hilflosigkeit, achtsam einbeziehen, ihnen mit Annahme begegnen und Raum geben?

Fühlen verbindet

Sobald wir die Bereitwilligkeit aufbringen, unser inneres Erleben aufrichtig einzubeziehen und ohne Wertung zu erfahren, beruhigt sich ein Großteil unserer Erregung. Wir hören auf, unserem Gegenüber Vorwürfe in Du-Botschaft an den Kopf zu werfen. Wir fangen an, über unsere eigenen Erfahrungen aus einer Ich-Perspektive zu sprechen: „Ich war einfach enttäuscht, dass Du nicht gesehen hast, wie wichtig mir die Ordnung ist.“ Oft spürt unser Konfliktpartner dann schnell, dass wir ihm eigentlich nichts Böses wollen. Er erlaubt sich dann ebenfalls, über sich selbst sprechen. „Ach so. Ich wollte doch auch nur, dass Alles seinen Platz hat. Das sieht bei  mir nur manchmal anders aus. Dann habe ich einen Schreck bekommen, als Du so heftig reagiert hast und bin deshalb wohl wütend aufgetreten.“ Begegnen wir uns mit Verständnis auf dieser menschlichen Gefühlsebene, verändert sich die Stimmung rasch. Wir werden gelassener und friedvoller. Schließlich gelingt es uns sogar, uns in das Erleben unseres Gegenübers einzufühlen: „O.K. Ich glaube, ich weiß jetzt besser, was Du und ich eigentlich wollen. Lass uns doch noch mal neu schauen, ob wir eine Lösung finden können, die für uns beide stimmig ist.“
Durch Einfühlung entsteht ein Raum gegenseitigen Verständnisses und Wertschätzung für die hinter den Handlungen stehenden Gefühle und Bedürfnisse. Die ausgelösten Emotionen dürfen in der Weiträumigkeit echten Mitgefühls schwingen und lösen sich dann wie von alleine auf. Oft wollen beide Konfliktparteien etwas durchaus Achtenswertes, auch wenn die Strategien, es zu erreichen, gegenläufig sein mögen und sich ungut auswirken. Doch sobald die „positive Absicht“ – wie es in der Hypnotherapie so hilfreich genannt wird – gefunden ist, entspannt sich der Konflikt. Dann tauchen oft frische Ideen und Handlungsmöglichkeiten auf.

Wuchtige Aufgaben

Ein solch gelassenes und besonnenes Vorgehen ist bereits im alltäglichen Umfeld eine wuchtige Aufgabe. Schon bei belanglosen Auseinadersetzungen über das Herunterbringen des Mülls oder die Reinigung des Treppenhauses geht es manchmal hoch her: Eingeschliffene Gewohnheiten stoßen aufeinander. Emotionsvulkane brechen aus. Fronten verhärten. Um wieviel mehr brodelt es, wenn es in großen politischen Konflikten um viel gewichtigere Sachverhalte geht: Um Gewalt. Um Vertreibungen. Um Folterungen. Um Mord und Totschlag.
Vermutlich ist die Verlockung dort umso größer: Anstatt, dass sich die Konfliktparteien einem Prozess der Selbstreflektion stellen und sich Einfühlung für sich selbst und ihre Gegenüber zu erlauben, scheint es leichter auf den Anderen zu schauen. Dann werden mit Pauschalurteilen schnell die „Bösen“ ausfindig gemacht und auf der Handlungsebene mit Bestrafung gedroht oder Belohnung gelockt. Solches Vorgehen lässt die inneren Aspekte, die hinter dem Verhalten liegen, unberücksichtig. Deshalb bleiben Lösungen äußerlich verordnet und halbherzig. Konflikte schwelen meist untergründig weiter oder verschieben in andere politische Felder. Umso dringlicher werden Konfliktlösungen, die alle Dimensionen der Lebens und Erlebens einbeziehen!

Innehaltende Politiker?

Doch haben unsere heutigen Politiker und Machthaber überhaupt die Bereitwilligkeit und Fähigkeit, sich in das Innenleben einer politischen Krisensituation einzufühlen? Mir scheint es nicht gerade so. Sicher, es gibt immer wieder Gesprächsversuche auf diplomatischer Ebene mit dem Ziel, friedliche Lösungen zu finden - zuletzt in Bezug auf die Ukraine-Krise das Treffen der Außenminister in Genf. Tatsächlich würde ich dort gern mal Mäuschen spielen und lauschen, wie diese Gespräche ganz konkret ablaufen. Meine Vermutung ist, dass auch solche Verhandlung mit einem einseitigen Fokus auf äußere Faktoren und Lösungsmöglichkeiten ausgerichtet sind. Ich vermute die vielfältigen Aspekte inneren Erlebens werden kaum berücksichtig - geschweige denn einfühlsam erkundet.
Kann ein Frank Walter Steinmeier - ohne sofort Partei zu ergreifen - offen erfragen und sich emotional einschwingen, welche Bedürfnisse und Gefühle auf allen Seiten zu Tage treten? Kann eine Angela Merkel ihre eigenen Ängste wahrnehmen und sie erst einmal zulassen, ohne in vorauseilender Pflichttreue zu Bündnispartnern oder hinter dem Schutzschild einer „neuen deutschen Stärke“ Sicherheit zu suchen? Kann ein Wladimir Putin sich seines zornigen Machtdranges bewusst werden und das dahinterliegende Gefühl der Schwäche zulassen, ohne zwanghaft mit den Muskeln zu protzen? Ist ein Barack Obama fähig innezuhalten, seine eigene Hilflosigkeit zu spüren und sich einzugestehen, dass das Saubermann-Image der USA als „Supermacht des Völkerrechts“ längst der Vergangenheit angehört? Ich weiß es nicht. Doch ich vermute sie können es alle nicht! Oder sie haben es schlicht und einfach nicht gelernt, aufrichtig mit und achtsam für ihr eigenes inneres Erleben zu sein.
Ich spreche diesen Politikern keineswegs eine positive Absicht ab. Ich glaube sogar, sie meinen aus ganzem Herzen wirklich gut. Viele von ihnen verfügen sowohl über enormes historisches und politisches Wissen, als auch über Erfahrung mit den Tanzschritten auf dem politischen Parket. Doch offensichtlich reicht das nicht. Warum? Weil es nur die – äußere – Hälfte der Welt ist. Das innere Gefühl für den zwischenmenschlichen Tanz fehlt. Dann werden die eigenen Füße zu brandgefährlichen Stolperfallen.

Raum geben

Um der inneren Dimension in schweren politischen Krisen angemessenen Raum zu geben bräuchte es viel: Erfahrene Vermittler müssten um die Bedeutung der inneren Dimension wissen und fähig sein, dies den Konfliktparteien auf eine überzeugende Art zu vermitteln. Sie müssten die Fähigkeit haben, zu einem höchstmöglichen Maße neutral zu bleiben indem sie auf sämtliche trennenden und spaltenden Beiträge verzichten, bzw. sie als solche erkennen und entkräften. Zugleich bräuchte es Menschen, die auch emotional schwingungsfähig sind. Denn neben mentaler Neutralität ist auch eine Atmosphäre tiefgreifenden Mitgefühls erforderlich. Das Leid aller Beteiligten muss authentisch geachtet und gewürdigt werden, bevor es um Lösungen gehen kann! Erst durch das freien Zulassen auch des schlimmsten Schmerzes können sich die Parteien der Leid erzeugenden Auswirkungen ihres Handelns bewusst werden. Das ist bei Leibe keine Gefühlsduselei, sondern die unabdingbare Einbeziehung eines seelischen Verarbeitungs- und Heilungsprozesses.
Aus solch einem politischen Einfühlungsprozess könnten dann Lösungen hervorgehen, die nicht mehr nur Symptom verschiebendes Flickwerk darstellen, sondern nachhaltig den Bedürfnissen aller gerecht werden. Das würde wirksam Versöhnung und Frieden herstellen und wahren.

Experten für das Innen

Es scheint mir,  dass es für diese Art von Konfliktklärung Menschen braucht, die eine hohe psychologisch-spirituelle Reife gerade auf der Dimension inneren menschlichen Erlebens verwirklich haben. Als Beispiel fällt mir hier der vietnamesische Zen-Mönch Thicht Nath Than. Er ist auch auf der politischen Bühne kein Unbekannter. Immerhin hielt er 2003 in Washington eine Rede vor Mitgliedern des amerikanischen Kongresses und leitete sogar einen Workshop für sie. Viele waren sehr berührt von ihm und seiner Arbeit.
Oder wie wäre es mit dem Mediator Marshall Rosenberg, Begründer der Gewaltfreien Kommunikation. Er wandte seine einfühlsame Kommunikationsmethode selbst unter schwierigsten Umständen, wie bei der Vermittlung zwischen verfeindeten Volksgruppen in Israel, Palästina, Ruanda und Kroatien, erfolgreich an.
Auf jedenfalls braucht es Menschen mit tiefen spirituellen Erkenntnissen, die zunächst für sich selbst eine Ebene von innerer Ruhe und Erfüllung erfahren haben, die unabhängig von materiellem Wohlstand, sozialer oder territorialer Zugehörigkeit ist. Nur ein  Mensch, der zu einem großen Maß in der allumfassenden Liebe transzendenten Seins ruht, weiß: Es gibt eine Ebene des Seins, die alle Menschen miteinander verbindet, egal welcher Rasse, welchem Staat, welchen Religionsgruppe oder politischen Ausrichtung sie angehören. Erst so ein Mensch kann die erforderliche Gelassenheit aufbringen, inmitten von verfeindeten Stellungen ein Höchstmaß an geistiger Offenheit und Mitgefühl zu bewahren - und dies eventuell auch Anderen vermitteln.

Globale Integrale Mediatoren-Teams

Außerdem bräuchte es vermutlich „Überblicks-Experten“, die sich gut mit einer integralen Sichtweise (im Sinne Ken Wilbers) auskennen. Diese könnten den Konfliktparteien die Bedeutung des inneren Erlebens – und anderer integraler Aspekte - in einer größeren Gesamtschau plausibel darstellen und zu einem integralen Vorgehen motivieren. Kooperierende Teams aus Fachkundigen für das Außen (Politikern), das Innen (psychologisch-spirituell geschulten Mediatoren) und für ein Überblickswissen (integrale Gelehrte) wären vermutlich die wirksamste Krisenprävention und -intervention, die man sich vorstellen könnte.
Vermutlich müssten solche Teams in bereits bestehen internationalen und globale Institutionen eingebettet werden. Da scheint aktuell die OSZE (Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa) vielleicht die beste Wahl. Oder aber es bräuchte die Gründung neuer „globaler integraler Mediatorenteams“ zum Beispiel im Rahmen der UN.
(Tatsächlich weiß ich nicht, ob es solche Impulse nicht schon längst gibt. Nach meinen bisherigen Recherchen scheint es zwar – gerade im Rahmen der OSZE – durchaus einige Konfliktvermittlungs und -lösungsstrategien zu geben, die aber die in diesem Text erwähnten „inneren Perspektiven“ nahezu unberücksichtigt lassen. Ich lasse mich aber von sachkundigen Lesern gerne eines Besseren belehren. Bitte dafür die Kommentarfunktion nutzen)

Einfühlung in die „russische Seele“

Das Erkunden des inneren Erlebens führt auch in der Krim-Krise zu einem viel umfassenderem Verständnis, als wenn wir ausschließlich die äußeren Sachverhalte betrachten. Dazu müssen wir nach den linken Quadranten fragen: Welche inneren Regungen und Impulse bewegen den russischen Machthaber, so zu handeln, wie er es getan hat? Was fühlt er - und viele andere Russen, die seinen politischen Kurs unterstützen? Wie geht es der „russischen Seele“?  Was sind Russlands Interessen und Bedürfnisse, die zum Beispiel zu der „Annektierung“ der Krim geführt haben? Welche Bedürfnisse und Stimmungen haben die Menschen in den verschiedenen Regionen der Ukraine? Was bewegt sie? Worüber definieren sie sich? Was frustriert sie? Was macht ihnen Sorgen? usw.
Solche Fragen sollen keineswegs das Vorgehen und die Strategien Putins - und mit ihm sympathisierenden Menschen – rechtfertigen. Doch bei einer Erkundung des Inneren, ist das äußere Verhalten und Handeln zunächst sekundär. Wir wollen uns erst einfühlen und Verständnis aufbringen bevor wir bewerten und handeln. Die angesprochene Journalistin Gabrielle Krone-Schmalz erwähnt in einem Interview eine Indianerweisheit, die eine solche Einfühlung betont: "Großer Geist, gib, dass ich meinen Nachbarn nicht eher tadele, als dass ich eine Meile in seinen Mokasins gewandert bin". Krone-Schmalz meint: Guter Journalismus zeichnet sich dadurch aus, sich in „die Lebensrealität derjenigen zu versetzen, über die man berichtet“. Eine solche journalistische Haltung weist auf die große Bedeutung einer Linken-Quadranten-Perspektive hin. Dies ist ein wichtiger Bestandteil eines reifen, integralen Journalismus. (Interview mit Gabrielle Krone-Schmalz zur Kritik an der Berichterstattung der Medien bezüglich der Ukraine-Krise http://www.youtube.com/watch?v=22VfEe1RkH8)

Mut zur Weichheit

Das hier beschriebene politische Einfühlungsvermögen mag sich zunächst nach einer sehr weichen - ja geradezu schwächlichen - Haltung  anhören. Doch haben wir nicht schon oft genug erfahren, wie gerade eine Haltung der Härte und Stärke zerstörerischeren Streit und Gewalt immer weiter ankurbelt? Könnte es sich da nicht lohnen, Mut zu Weichheit und vermeintlicher Schwäche aufzubringen? Könnten wir nicht mal wagen, unserem Gegenüber mit einem Vertrauensvorschuss entgegenzukommen, statt gleich aus der Misstrauensknarre Schuldzuweisungen zu feuern? Ganz nebenbei: Eine kurze Erinnerung an das neue Testament und die Haltung Jesu könnte es übrigens den deutschen sogenannten „christlich-demokratischen“ Politkern erleichtern, zu einer offeneren Haltung zurückzufinden.
Tatsächlich ist Verständnis das beste Eingangstor zur Klärung von Zerwürfnissen. Fühlt sich ein Konfliktpartner erstmal auf einer inneren Erlebensebene verstanden und „abgeholt“, ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass auch er weicher wird. Die Spirale gegenseitiger Schuldvorwürfe entschraubt sich. Beide Parteien wagen mehr und mehr, sich auf eine kooperative Haltung einzulassen. In einer Atmosphäre gegenseitigen Verständnisses keimt wieder Vertrauen auf. Das Gegeneinander wird von einem Miteinander abgelöst. Ein gemeinsamer Raum für neue Möglichkeiten öffnet sich wieder.

Verständnis für Bedrohungsempfinden

An dieser Stelle möchte ich kurz inhaltlich konkreter werden und zumindest einen Teilaspekt einer Erläuterung des inneren Erlebens und des Verhaltens der russischen Regierung anbieten. Ich weiß sehr wohl, dass dies nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtbildes darstellen kann. Doch es ist wichtig, auch diesen Blickwinkel einzunehmen, gerade weil ein solcher in der einseitigen Berichterstattung westlicher Medien bisher viel zu kurz gekommen ist.
Gestützt werden die folgenden Darstellugen zum Beispiel auch von dem CDU-Politiker Willy Wimmer. Wimmer war Mitglied des deutschen Bundestages und viele Jahre Staatsekretär im Verteidigungsministerium. Er verfügt über handfeste politische und international vernetzte Erfahrung auf höchsten staatlichen Ebenen. Nach seinen Schilderungen (zum Beispiel in einem Online-Interview von KenFM: http://www.youtube.com/watch?v=faL4zRUdQTA) wird verständlich, dass sich das aktuelle russische Verhalten vor allem aus der Bedrohung russischer Sicherheits- und Schutzbedürfnisse erklären lässt. Gespeist wird das Empfinden der Bedrohung unter anderem durch einen Vertrauensbruch von Absprachen beim Zustandekommen des Zwei-plus-Vier-Vertrages im Jahr 1990. Hier ging es um die Einbindung des wiedervereinten Deutschlands in die NATO. Bei den Verhandlungen gaben höchste politische Funktionäre des Westens und des Nato-Militärs den Sowjets klare mündliche Zusicherungen: Aus Rücksicht auf das Sicherheitsempfinden der Sowjetunion - nach der Eingliederung der ehemaligen DDR-Gebiete in die NATO - versicherten die Westmächte den Sowjets, auf jede weitere Osterweiterung des westlichen Militärbündnisses zu verzichten. Solche Vereinbarungen wurden anscheinend nicht schriftlich in den Vertrag aufgenommen, bestanden aber als klare mündliche Übereinkommen und Zusicherungen. Wimmer meint, dass dieser Sachverhalt von vielen hochrangigen Zeugen bestätig werden könnte.

Konfrontation statt Kooperation?

Trotz diese Zusicherungen sah die reale politische Entwicklung sehr schnell ganz anders aus: Innerhalb der nächsten 20 Jahren gab es eine massive Osterweiterung der NATO – unter anderem durch die Aufnahme von Polen, Tschechien, Ungarn, die baltische Staaten und andere. Wir können uns vielleicht vorstellen, dass die russische Seite durch diesen Vertrauensbruch eine große Enttäuschung erlitt. Die Angst vor einer westlichen Übermacht verstärkte sich.
Hinzukommt der Ärger und die Frustration, die Russen – und wohl auch viele westlichen, politisch sensibilisierten Menschen - erfahren haben, wenn sie den Kurswandel der weltpolitischen Orientierung der Westmächte in den letzten 15 Jahren mitbekamen: Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurden globale Organisationen wie die Vereinten Nation (UN) und später die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) gegründet. Diese sollten durch einen Kurs der offenen Kooperation zwischen den Nationen ein friedliches Zusammenwirken garantieren und damit Kriege verhindern. Die UN, als weltweite Gemeinschaft aller Staaten, sollte dabei idealer Weise ein globales Machtmonopol innehaben und dadurch militärische Übergriffe einzelner Staaten verhindern. Doch die USA haben sich im Laufe der letzten 15 Jahre immer mehr aus dem weltpolitischen Kurs der globalen partnerschaftlichen Zusammenarbeit verabschiedet. Anstelle der Kooperation trat die Strategie der Konfrontation. Die USA vertrat ihre eigenen Ansichten und Interessen zunehmend aggressiv ohne Rücksicht auf UN oder völkerrechtliche Sichtweisen. So kam es beispielsweise zu Militäroperationen der USA und teilweise auch der NATO-Bündnispartner in Jugoslawien und im Irak, welche ohne UN-Mandat ausgeführt wurden. CDU-Mann Wimmer bezeichnet beide Militäreinsätze als "ordinäre Angriffskriege". Solche Beispiele machen deutlich, wie sich der Charakter der NATO als ein vormalig „reines Verteidigungsbündnis“ hin zu einem wesentlich aggressiverem Machtfaktor entwickelt hat. Sicher sind hier auch die Russen keine zahmen Kätzchen. Sie haben auch Einiges an schlimmer militärischer Gewalt zu verantworten. Dennoch kann man sich vorstellen, wie das immer aggressivere Vorgehen der Westmächte ein Gefühl der Bedrängnis und Unsicherheit verstärkte.

Der letzte Tropfen

Ein weiteres einschüchterndes militärisches Element stellt sicherlich der geplante US-Raketenschirm da. Dieser würde ein erneutes militärisches Ungleichgewicht zu Ungunsten Russlands befeuern. Der Tropfen, der wohl das Fass des Bedrohungsempfindens von Russland schließlich zum Überlaufen brachte, war vermutlich die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU im März 2014, das auch eine militärische Zusammenarbeit einschließt.
Versetzten wir uns angesichts dieser äußeren politischen und strategischen Entwicklungen in die Lage russischer Machthaber und Bürger: Wird da nicht verständlich, dass dies in vielen Menschen Enttäuschung, Wut und vor allem Angst ausgelöst hat? Ich finde: Ja.
Noch einmal sei an dieser Stelle betont: Eine solche Einfühlung soll keineswegs die Strategien russischen Vorgehens in der Ukraine oder Verfehlungen in anderen politischen Bereichen rechtfertigen. Wir wollen uns einfach nur einfühlen, was die „russische Seite“ empfinden, fühlen und denken könnte.
Ich verzichte aus Platzgründen in diesem Text darauf, eine solche „einfühlende Analyse“ auch für die Gefühls- und Bedürfnislage auf Seiten der Westmächte und der unterschiedlichen Gruppierungen der Ukrainer zu durchzuführen. Dies wäre genauso erforderlich! (Schon deshalb, weil berechtigte Kritik an den USA oft in einen Topf mit  blindem Antiamerikanismus und verrückten Verschwörungstheorien geworfen wird. Dies ist hier überhaupt nicht meine Absicht!!!)

Mit-Gefühl an einem Tisch

Stellen wir uns zum Schluss nur noch mal kurz vor: Wie wäre es, wenn alle Beteiligten eines Konfliktes in einem hier beschriebenen Geist an einem Tisch sitzen würden. Wie wäre es, wenn diese – vielleicht angeleitet durch einen nicht-wertenden und mitfühlenden Mediator – nicht nur darüber sprechen, was, wer, wann, wo, wie getan hat und tun will, sondern auch erkunden, wie das innere Erleben aller Beteiligten ganz genau aussieht. Wo und wie wurde Enttäuschung und Schmerz erlebt? Wer ist wovon frustriert oder worauf ärgerlich? Welche Bedürfnisse und Sehnsüchte tauchen bei den Beteiligten auf? Dürfen Verwirrung, Angst, Wut, Scham, Betroffenheit und andere aufgeladenen Emotionen zunächst Raum haben und erlebt werden – ohne dass sie sofort bewertet werden? Was treibt das Handeln der Parteien Handeln an? Was sind die „guten Absichten“ der Beteiligten für sich selbst oder die Gruppen, die sie vertreten? Welche Auswirkungen haben ihre Handlungen auf das innere Erleben der Anderen? Gibt es eine Bereitwilligkeit zum Innehalten, zur Versöhnung und eventuell sogar zur Vergebung? Was wird dazu von wem gebraucht?  Was verbindet die Konfliktparteien? Wie könnten Lösungen aussehen, die sich für alle stimmig anfühlen?
Wäre es nicht viel lebendiger, interessanter und vermutlich wirksamer, alle diese Ebenen des menschlichen Erlebens in einen Klärungsprozess einzubeziehen? Ich bin der Überzeugung: Ja!


Frieden aufs Schlachtfeld


Es mag sich utopisch anhören, solche Ansätze der Konfliktlösung auf schwere Krisen der Weltpolitik anwenden zu wollen. Vielleicht müssen wir erst damit anfangen, uns mit einer neuen Kultur der Innerlichkeit in Fällen leichterer politischer Konflikte oder des politischen Umgangs überhaupt vertraut zu machen. Und es beginnt mit Sicherheit damit, dass wir uns selbst höchstpersönlich in der eigenen Familie, mit Freunden oder Nachbarn für Innehalten und Innerlichkeit öffnen.
Zugleich bete ich für die Möglichkeit, dass sich bald schon „Globale Integrale Mediatoren-Teams“ auf die Schlachtfelder von Mord- und Totschlag dieser Welt wagen und dort Gehör finden.

Mögen alle Wesen in Frieden und Harmonie leben.

Om Shanti

Torsten Brügge, Hamburg 6.5.2014

www.bodhisat.de

 

 

 

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Sitzen am heiligen Fluss

Naturkräfte und Landschaften sind wunderbare spirituelle Lehrer. Da Betrachtungen des Außen und des Innen verschiedene Perspektiven auf das eine ungetrennte Sein darstellen, zeigen sich oft faszinierende Parallelen beider Aspekte. In meinem Blog-Beitrag „Reglose Stille – ein Berg als höchster Lehrer“ habe ich beschrieben, wie die Gestalt eines Berges Ausdruck von und Zugang zu essentieller innerer Wahrheit sein kann. Heute schreibe ich ein  paar Worte dazu, auf welche Weise dies auch für einen Fluss gilt.

 

Wahrhaft göttlich

Gerade sitze ich hier auf der Dachterrasse des „Divine Ganga Cottage“ („Landhaus der göttlichen Ganga“). Dieses Hotel liegt in einem Dorf nahe dem berühmten Pilgerort Rishikesh im Norden Indiens. Die umliegenden Berge gehören zu den ersten Ausläufern des Himalayas. Grüne Hänge ragen steil hinauf, unten schlängelt sich türkisfarben der Ganges. Felbsbrocken in allen Größen liegen still an seinen Ufern. Manche groß wie Eisenbahnwagons, andere klein wie Spielzeugautos. Vom stetigen Strom des Wassers sind ihre Oberflächen glatt geschliffen und laden zum sanften streicheln ein. Weiße Sandstrände reichtert der Ganges mit silbern funkelndem Glitter an: Die stetigen Rinnsale des der Himalaya Gletscher haben Metalle aus dem Gestein gelöst, die nun als winzige Perlen im Sand glitzern.

Wasserstand und Strömungen des Ganges ändern sich stetig, jeden Frühling gestaltet er seine Strände neu. Mal schafft er kleine Nischen von Sandablagerungen, dann hundert Meter lange elegant geschwungene Buchten.

Der Fluss selbst wechselt ständig seine Farbe. An manchen Tagen leuchtet er türkis, dann wieder färben Regenfälle in den Bergen den Strom olivgrün oder braun. An den zahlreichen Stromschnellen peitscht die Strömung weiße Schaumkronen auf die Oberfläche. Wenige Meter weiter verwandelt sich Ganga – wie der Ganges von den Indern in weiblicher Form genannt wird in eine fast wellenlose Wassermasse, die genügsam sich selbst voranschiebt. An den ruhigen Stellen spiegelt sich das Grün der Berge, schimmert das Blau des Himmels.

 Das Wasser vom Vortag schimmer türkis in einem Becken, 
heute nach Regenfällen ist es braun

Das Grundrauschen des Flusses schallt dumpf bis hinauf zur Dachterrasse. Die sanften Stellen summen kaum hörbar, erzeugen die Ahnung eines Klanges stillen Fließens. In der Ferne donnern Stromschnellen auf harten Fels. Kleine Rinnsale plätschern zart flache Steinstufen hinab, stimmen gluckernd und glucksend in den Ganga-Gesang mit ein. Eine anmutige Melodie erklingt über dem heiligen Fluss.

 

 

 

Wilde Stromschnellen mit tösendem Rauschen

Vögel zwitschern in das Konzert Gangas hinein, Affen kreischen und von der Straße blökt das Hupen der Autorikshas herüber. Wenn dann aus den Tempeln noch hinduistische Mantren herüberwehen und ein hingebungsvolles „Om Shanti“ im Tal verklingt, darf man diesen feingewebten Klangteppich wohl als wahrhaft göttlich bezeichnen. Keine menschliche Symphonie, kein Himmelsgesang würde die Szene besser untermalen. Ich könnte Stunden lang diesem Naturschauspiel zuschauen und lauschen, ohne einen einzigen Gedanken zu denken. Und genau das geschieht.

 

Weisheitsspülung

Die Wassermassen des Ganges fließen hier mit so großer Geschwindigkeit vorbei, dass selbst geübte Schwimmer eindringlich davor gewarnt werden, zu versuchen, den Fluss schwimmend zu überqueren. Immer wieder ertrinken Menschen, weil sie sich beim Bad im Ganges nur wenige Meter zu weit in den Strom vorgewagt haben.

In jedem Augenblick ergießen sich unermessliche Mengen kühlen Nasses aus den Höhen des Himalayas in die Flachebene Nordindiens. Jeder Liter Wasser ist hier nur ein paar Sekunden im Blickfeld und schon wieder weiter Flussabwärts gespült.

Ob ich mich hier oben auf einer Anhöhe oder unten direkt am Gangesstrand aufhalte, es kommt mir so vor, als würde ich zu den Füßen eines uralten, weisen Lehrers sitzen. Höchste Lehrreden flüstert er mir in einfachster Form zu: „Sieh nur: Alles fließt. Alles kommt und geht. Nichts kannst Du fernhalten. Nichts kannst du festhalten. Lass kommen, was kommt. Lass gehen, was geht. Du hast sowieso keine Kontrolle. Überlass alles dem Fluss des Lebens. Verweile als Beobachter. Sei still.“

Natürlich sind dies uralte, schon oft ausgesprochene Weisheiten. Ob im alten Griechenland des Heraklit oder in Herman Hesses Siddartha – der Fluss wurde schon immer als Lehrer der Vergänglichkeit wertgeschätzt. Hier vor meinen Augen lehrt Ganga diese Weisheit mit einer wortlosen, überdeutlichen Kraft, der man sich nicht entziehen kann. Sie spült einem die Erkenntnis vom Leben als Fluss bis in die Körperzellen hinein.

 

Fluss oder Göttin?

Vielleicht ist diese spirituelle Vermittlung der Grund dafür, dass die Hindus Ganga als Göttin der Reinigung verehren. Der Legende nach sah Göttin Ganga eines Tages vom Himmel auf die Welt herab und war schockiert über die Verblendung und Ignoranz der Menschen. Blind angetrieben von der Angst vor dem Tod und der Gier nach Vergnügen, lebten sie ein egoistisches Leben ohne Liebe. Deshalb beschloss Ganga, die Welt von diesen Unreinheiten zu befreien. In einem Schwall reinigenden Wassers wollte sie auf die Erde herabströmen und alle Falschheiten hinweg waschen. Der Gott Shiva jedoch sah ihre Absicht. Mit der Macht der Zerstörung war er vertraut und sah voraus, dass Gangas Kraft nicht nur die Unreinheit der Menschen wegschwemmen, sondern die Menschheit vollständig vernichten würde. Mitgefühl für die Menschen bewegte sein Herz. Der indischen Mythologie zufolge ließ er deshalb die Wassermassen Gangas durch die Windungen seines hohen Haarknotens fließen. So blieb ihre klärende[T1]  Wirkung erhalten, während ihr Strom sanfter und weniger zerstörerisch wurde. Dieses Bild des Zusammenwirkens der beiden Gottgestalten scheint eine perfekte Metapher für die Naturkraft des Ganges zu sein. In zahllosen Windungen ergießt sich der Strom aus den Höhen des Himalayas zu den Menschen in der nordindischen Tiefebene. Das Land um den Gangeslauf, eines der dicht besiedelsten Flusseinzugsgebieten der Welt, versorgt ein Zwölftel der Erdbevölkerung mit Wasser.

 

 

Ganga fließt über den Kopf von Shiva

 

 

 

Radikale Vergänglichkeit

Für mich persönlich vertieft der Aufenthalt am Ganges immer wieder zwei wesentliche Aspekte spiritueller Selbsterkenntnis. Der eine besteht in der Bewusstwerdung radikaler Vergänglichkeit. Hier spiegelt mir der Ganges ein äußerliches Beispiel für eine innere Dynamik wieder: Auch der Fluss unseres inneren Erlebens ist von einer elementaren Unbeständigkeit gekennzeichnet. Ob wir Sinneseindrücke, Körperempfindungen, Gefühle oder Gedanken betrachten. Keines dieser Phänome hat Bestand. Wir können das genau jetzt während des Lesens dieses Textes überprüfen: Geräusche und Töne um uns herum wandeln sich ständig. Mal hören wir etwas aus der Ferne. Dann dringen nahe Geräusche an unser Ohr. Oder wir hören das Atmen unseres Körpers. Das Bild, das wir vor unseren Augen sehen, wandelt sich. Mal sind jene Buchstaben im Fokus, mal andere. Mal wendet sich unser Kopf ein wenig. Der Bildausschnitt verschiebt sich. Der Blick schweift in die Ferne. Dann sehen wir wieder den Text nah vor uns. Ganz zu schweigen von den inneren Bildern, die während des Lesens dieses Textes in unserem Bewusstsein als Assoziationsnetzwerke aufgetaucht und wieder verblasst sind. Die begleitenden Gedanken sind ebenso gekommen und gegangen. Vielleicht waren wir gedanklich wir ganz beim Inhalt des Geschriebenen. Oder schweifte unser Geist zwischendurch zu ganz andere Themen ab? Am Ende des Textes sind wir vielleicht froh, das Gelesene wieder ganz vergessen zu dürfen.

Wie hat sich der Fluss unserer Stimmungen während des Lesens angefühlt. Gab es Momente der Berührung, der Begeisterung, der Langeweile, des Widerstandes? Welche Empfindungen hatten wir während des Lesens. Waren wir uns unseres Atmens bewusst? Oder werden wir es gerade jetzt, weil der Text darauf hinweist? Haben wir während des Lesens das leichte Kribbeln in den Beinen oder im Gesäß gespürt? Oder waren wir so vom Text in den Bann gezogen, dass sämtliche Empfindungen aus dem Bewusstsein ausgeblendet wurden?

Lässt sich irgendein Element des Erlebens – seien es Empfindung, Gefühle oder Gedanken – für mehr als ein paar Sekunden festhalten? Und selbst in diesen Sekunden, würden sich Abwandlungen der Erfahrung auftun.

Tatsächlich ist es ganz natürlich, dass Alles dahin fließt, ohne dass wir etwas greifen können. Auch der Inhalt des letzen Satzes ist mit dem folgenden schon wieder unwichtig geworden. Und das ist gut so. Wer will schon unablässig an die Philosophie der Vergänglichkeit denken wollen?

 

Einfrieren unmöglich

Es mag sein, dass eine solche Untersuchung unseres fließenden inneren Erlebens banal erscheint. Doch tatsächlich ist es ein wesentlicher Aspekt von befreiender Selbsterkenntnis, der Vergänglichkeit aller Erfahrungen auf immer feineren Ebenen auf die Spur zu kommen. Denn wie oft und wie intensiv versucht unser kleines, leidendes Ich eben doch das Unmögliche: Es setzt sich in den Kopf Empfindungen festzuhalten, Gefühle sichern oder Gedanken bewahren zu wollen. „Ich will mich immer so wohl fühlen.“ „Ich will, dass diese Erfahrung bleibt.“ „So sollte ich immer denken.“ „Es sollte sich immer so spirituell anfühlen.“

Oder wir wenden uns gegen das, was ohne unser Zutun ins Bewusstsein tritt „Nein, das will ich nicht fühlen.“ „Dieser Schmerz hätte nicht auftreten sollen.“ „Derartige Gedanken darf ich nicht haben.“ Solche Vorstellungen versuchen den Fluss der Erfahrungen zu kontrollieren und ihn in einem vermeintlichen idealen Glückszustand einzufrieren. Doch was wäre, wenn das funktionieren würde? Dann hätten wir bloß einen kalten, harten Eisklumpen in unserer Hand. Tatsächlich können wir dankbar sein, dass es die Wirklichkeit nicht zulässt, den Fluss des Lebens zu stauen, ihn anzuhalten oder umzulenken. Je mehr wir bereitwillig sind, alles fließen zu lassen, desto freier und genussvoller erfahren wir das Wunder des Lebens.

 

Nichts sieht Alles

Der andere Aspekt spiritueller Selbsterkenntnis scheint bei der Beobachtung eines Flusses verborgener. Zugleich ist er genauso wesentlich, womöglich noch wichtiger. Er liegt in der Bewusstwerdung des Beobachtens und des Beobachters. Sitzen wir am Ufer eines Flusses und betrachten die stetige Bewegung des Wassers, bleibt etwas in uns unbewegt. Dasselbe gilt, wenn wir den Fluss unserer Empfindungen, Gefühle und Gedanken gewahren. Dann erlauben wir uns, in uns selbst zu ruhen. Und die vergänglichen Erfahrungen sich selbst zu überlassen. Das entspricht einer sanften Form der Neti-Neti-Erkenntnis, auf welche die Advaita-Tradition gerne hinweist. In Kurzform lautet sie „Ich bin nicht dies und nicht jenes.“ Konkreter kann man es so beschreiben: Ich bin nicht der vorbeiziehende Strom der Erfahrungen, die ich beobachte. Ich bin nicht meine Körperempfindungen. Ich bin nicht meine Gefühle. Ich bin nicht meine Gedanken. Denn all diese Erfahrungen kommen und gehen, doch das bezeugende Gewahrsein bleibt immer gegenwärtig. Es verharrt reglos und unberührt – hier und jetzt. Dieser beobachtenden Reglosigkeit in uns nachzuspüren, ist vielleicht die tiefste Art der Selbstergründung. Was bleibt unangetastet? Was ist immer hier, während der Fluss der Lebenserfahrungen an uns vorbeizieht? In diese Richtung forschend öffnen wir uns der Weiträumigkeit unseres wahren Wesens.

In manchen spirituellen Ausrichtungen wird dieser innerste Wesenskern auch DIE QUELLE genannt. Denn wenn wir uns ganz in die reine Leere absoluten Gewahrseins zurück sinken lassen, spüren wir, wie die relative Welt aller Erscheinungen aus eben diesem leeren Urgrund hervorsprudelt. Hier kommen die scheinbar getrennten Aspekte von bewegter Erscheinungswelt und regungslosem Urgrund zusammen, bzw. wir erkennen, dass sie niemals getrennt waren. Dann können wir erspüren, dass wir beides sind: Fluss und Ufer, Erfahrungsstrom und stilles Gewahrsein. Dem „Neti neti neti“ der Nicht-Identifikation (Ich bin nicht dies …nicht das …nicht jenes), müssen wir ein „Sarva Sarva Sarva“ des Wissens um die Identität mit Allem (Ich bin alles …alles …alles) hinzufügen.

Und so fühlt es sich dann auch für mich an: Ich sehe Ganga und bin Ganga. Ich spüre das reglose Zeugesein der Leere und vibriere als Lebendigkeit von Körper, Fluss und Landschaft. Beides gleichzeitig, keines von beiden, jenseits von Worten.

 

Om Namah Ganga Jai Jai

Torsten Brügge, Rishikesh – Laxman Jhoola, 21.3.2014

 

Wenn es interessiert: Für 2015 und/oder 2016 sind weitere Indien-Retreats am Arunachala und am Ganges mit meiner Partnerin Padma und mir in Planung. Mehr dazu unter diesem Link.

Ein Blogbeitrag zum Arunachala findet sich hier.

Ein kleiner Reisebericht über einen Ausflug auf unserem letzten Ganges-Retreat 2013 findet sich hier.

 

 

 

 

 

 

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Gewaltige Naturgestalt

Immer wieder beeindruckt mich die Begegnung mit dem Berg Arunachala im Süden Indiens, an dem wir mit unserer Retreat-Gruppe gerade vor ein paar Tagen angekommen sind.
Körper und Geist fühlen sich von der 24-stündigen Reise von Hamburg, über Frankfurt und Chennai, bis hin zum Tempelort Tiruvannamalai im Inland Südindiens  noch ein wenig müde an. Doch sobald ich mich auf der Dachterrasse des Ashrams, in dem wir wohnen, hinsetze, wird die Präsenz des Berges deutlich spürbar. Von hier aus zeigt sich  ein wunderbarer Ausblick. Der Berg, der in einer Flachebenen die einzige größerer Erhöhung ausmacht, liegt in seiner vollen Pracht dar. In eher sanften Schwüngen doch mit einem deutlich aufragenden Gipfel sehe ich das Steinmassiv vor mir. Man könnte auch den Eindruck haben, man blickt auf einen gigantischen, liegenden Elefanten aus Stein oder auf eine etwas abgeflachte, aber dafür um das tausendfache vergrößerte Pyramide. Mein Körper ruht als winziger Punkt auf der Dachterrasse eines Hauses, das nur wenige hundert Meter vom Fuß des Berges auf der sich absetzenden Flachebene platziert ist.

Wie bei einem Blick in den Sternenhimmel wird sofort klar, wie winzig und unbedeutend der eigene Körper, die eigene Person, das eigene Leben, im Angesicht solch gewaltiger Naturgestalt ist.

Erdkrusten aus heißer Vorzeit

Aus geologischer Perspektive soll das Gestein des Arunachalas mit zum ältesten Teil der Erdkruste gehören. Vielleicht erstarrte hier das Magma unseres glutheißen Planeten vor Milliarden von Jahren zuerst. Inseln von festem Fels bildeten sich. Nach und nach bedeckten sie die Steinschmelze des Erdmantels mit kühlem Geröll. So bereiteten sie den Boden für das kommende Leben auf unserem Planeten. Die Erhebung des Arunachalas war vielleicht ein erstes hohes Eiland im Urzeitmeer der Lava. Selbst das mächtige Himalayagebirge soll noch wesentlich jünger sein. Es ist quasi noch grün hinter den Ohren, wenn man sein Lebensalter mit dem seines Urgroßvaters Arunachala vergleicht.
Der Berg hat wohl den Lauf der gesamten Evolution mitangeschaut. Vielleicht ist es dieses Wissen um Beständigkeit im Anblick der Vergänglichkeit aller Lebensformen, das der Berg so machtvoll ausstrahlt. Er steht einfach da. In sich selbst ruhend. Unerschütterlich. Unbewegt. Reglos. Zugleich wirkt er wie ein Mahnmal der Gegenwärtigkeit. Denn während ganze Erdepochen an Zeiträumen an ihm vorbei brausten, war und ist er stets zugegen - und wird es auch weiterhin sein. Ein lebendiges Symbol für das ewige Jetzt, in dem alle Zeiten geschehen. 

Stille Botschaft

Es kommt einem fast so vor, als würde eine Botschaft vom Arunachala ausgehen: "ICH BIN IMMER HIER." Komme, was wolle: Generationen von Pflanzen, Tieren und Menschen wurden an seinem Fuß geboren, lebten ihr Leben und starben. Den Berg kümmert es nicht. Strahlende Sonnentage trocknen seine Bäche aus, Regenmassen des Monsuns lassen sie wieder anschwellen. Der Berg lässt es geschehen. Er bleibt immer der Gleiche. Einerseits unbeteiligt, andererseits vollkommen gegenwärtig für das, was im jetzige Moment in seiner Präsenz geschieht. Nichts wird abgelehnt oder weggeschoben. Nicht wird anders gewollt, als es sich gerade zeigt. Ob Schreie von Vögeln und Affen die Luft durchdringen, die Nachtruhe alle Geräusche dämpft oder der verrückt hupender, indischer Straßenlärm die Morgenstunden einläuten; ob Menschen auf ihm neue Bäume pflanzen oder ältere abholzen; ob sie an seinen Hängen Gras schneiden oder Wiesen mit Kuhmist düngen; ob Regenschauer in wilden Sturzbächen abfließen oder bei Trockenheit Brände Teile seiner Vegetation verbrennen. Der Berg selbst bleibt still. Kein Kommentar. Keine Bewertung. Keine  Zustimmung. Keine Ablehnung. Vollkommene Akzeptanz. Betrachtet man den Arunachala aus der Ferne, steckt einen diese unbeirrbare Präsenz magisch an. Und auch wenn der ganze Berg von Nebel und Regenwolken eingehüllt ist, so weiß man doch: Er ist immer noch dar und bleibt unangetastet von allen Umständen unbeirrt der, der er immer ist.

Shiva-Bewusstsein

Eine englische Freundin, die seit 20 Jahren am Arunachala lebt, verehrt den Berg als spirituelles Kraftfeld und physische Manifestation Shivas. Sie setzt sich sehr für das Bekanntwerden des Arunachalas ein (siehe ihre Website dazu in Englisch). In einem Gespräch gestern meinte sie: "Der Arunachala steht für die Shiva-Energie. Und „Shiva" ist nur ein anderes Wort für reines Bewusstsein." Ich würde ergänzen: Die Shiva-Symbolik spiegelt den regungslosen, das weltliche Leben transzendierenden Aspekt absoluten Bewusstsein wieder. Das klassische hinduistische Symbol für Shiva ist der Shiva-Lingam: Eine vertikal ausgerichtete phallusförmige Gestalt, die oft als eine Steinsäule für religiöse Rituale verwendet wird. Im Kontrast und als Ergänzung dazu gibt es auch einen eher weiblichen Aspekt reinen Bewusstseins: Die Shakti. Sie spiegelt einen sich ins Leben ergießenden Strom  fließenden Energie wieder. Man könnte sie somit auch als eine horizontale, integrierende Kraft der Immanenz betrachten. Oft wird der Shiva-Lingam dann auch zusammen mit dem eher weiblichen Symbol eines runden Sammelbeckens (Yoni) dargestellt und als Statue geformt. Der Shiva-Lingam ruht in der Mitte der Yoni. Die Figur in ihrer Gesamtheit symbolisiert die mystische Einheit von regloser Stille und bewegtem Bewusstsein, von Transzendenz und Immanenz, vom Aufstieg zum Göttlichen und Absteigen des Göttlichen in die Welt.

Shiva Lingam

Sammelort der Weisen

Die in einer sonst flachen Landschaft ungewöhnlich aufragende Erhöhung des Arunachalas wird von Hindus schon seit Jahrtausende als Manifestation Shivas verehrt. Um seine Erscheinung ranken sich eine Menge Mythen und Legenden mit unterschiedlichsten Bedeutungen. Sicher ist, dass der Berg seit jeher eine starke Anziehung auf spirituell orientierte Menschen ausübte. Hier lebten zahllose Philosophen, Heilige, Weise und ihre Anhänger. So wird zum Beispiel von Adi Shankara (788-820), dem berühmten Begründer der Advaita Philosophie, berichtet, er habe sich am Arunachala aufgehalten und ihn verehrt. In der Neuzeit ist der Berg vor allem durch den indischen Weisen Sri Ramana Maharhsi (1879 bis 1950) bekannt geworden. Ramana erfuhr im Alter von 16 Jahren ein spirituelles Erwachenserlebnis, während dessen er sein wahres Selbst erkannte. Kurz darauf vernahm er einen inneren Ruf, zum heiligen Berg zu kommen. Er brach die Schule ab, verließ seine Familie und machte sich auf eine für damalige Verhältnisse gewagte, abenteuerliche Reise zum Arunachala. Für den Rest seines Lebens sollte dieser Ort seine Heimat bleiben. Ramana verließ den Berg nie wieder. Im Laufe der Jahre wurden viele Menschen von seinem stillen Wesen, seiner friedvollen Ausstrahlung und seiner umfassenden Weisheit berührt, inspiriert und erleuchtet.

Ich lernte zunächst die Lehre und die Gestalt Ramanas Anfang der 90er Jahre kennen - vor allem durch die lebendige Vermittlung meiner Lehrer Sri Poonjaji und Gangaji. Später erfuhr ich, dass Ramana den Berg Arunachala als seinen Lehrer verehrte. Und erst bei meinem ersten Besuch Südindiens 1999 wurde für mich spürbar, welche spirituelle Kraft der Arunachala verkörpert.

Drei kosmische Funktionen

Natürlich unterliegt jede Art von "spiritueller Kraftzuschreibung" der Ausdeutung unseres Denkens. Was wir im Außen erleben ist untrennbar verquickt mit der inneren Haltung, mit der wir uns einem Ort oder Menschen nähern. Wir erleben sozusagen die Auswirkungen unser eigenen Perspektiven. Dennoch erstaunt es mich immer wieder, wie die allgemeine mythologische Bedeutung des Arunachala, einschließlich seiner Zuschreibung zur Shiva-Energie, mit dem direkten, mystischen Erleben an diesem Ort in Einklang schwingt. Shiva wird - neben der Bedeutung als "regloses Bewusstsein" - auch mit der Kraft von Zerstörung und Vernichtung verbunden. Auf einer äußeren, relativen Ebene wird damit die Ureigenschaft der Vergänglichkeit angesprochen, die allen Objekten der phänomenalen Welt eigen ist. Im hinduistischen Verständnis wird diese in den drei kosmischen Funktionen beschrieben, die sich als Verbildlichung in den drei großen Gottgestalten illustriert finden: Brahman ist die erschaffende Kraft. Vishnu ist die erhaltende Kraft. Shiva ist die Kraft der Zerstörung. Ob wir den äußeren Kosmos, also Materie und Lebewesen, oder den inneren Kosmos, also Empfindungen, Gefühle und Gedanken, betrachten: Jedes Phänomen entsteht, scheint sich eine Weile zu halten und vergeht dann wieder. 

Heil der Zerstörung

Auf einer tieferen Ebene können wir die Shiva-Energie dabei durchaus als eine befreiende Kraft verstehen. Besonders betont wird dies im Kontext der Advaita-Philosophie und –Erfahrungslehre. Hier besteht der Schwerpunkt darin, die scheinbare Wirklichkeit der phänomenalen Welt als bloße Illusion zu entlarven. Sinn und Zweck dieser Erkenntnis liegt darin, den darunter liegenden Urgrund des ewig unveränderlichen Bewusstseins aufzudecken und wieder erfahrbar zu machen. Dabei spielt die Wirkkraft der Zerstörung - also Shiva - eine wesentliche Rolle. Denn erst wenn uns bewusst wird, dass alle Phänomene ausnahmslos der Auslöschung und damit der Vergänglichkeit unterworfen sind, verändert sich unsere Sichtweise der Wirklichkeit. Dann können wir einer Erforschung nachgehen, die auch Sri Ramana Maharshi seinen Anhängern als einen Königsweg zur Selbsterkenntnis oft Nahe gelegt hat: "Was bleibt immer dasselbe, während alle Phänome entstehen und wieder vergehen?" "Was ist beständig da, auch wenn alles verschwindet?" Wenn Ramana spirituellen Suchern solche Fragen stellte, zielte er damit auf eine Erforschung ab, die bloßes intellektuelles Nachgrübeln übersteigt. Die Fragen dienten - und dienen auch heute noch - als Eingangstor zu einer intensiven inneren Einkehr. Mit ihnen lud er ein, nach "Innen zu  tauchen" und dem beständigen ICH-ICH nachzuspüren. So bezeichnete er das bezeugende Gewahrsein, das sich der Vergänglichkeit bewusst ist, ohne ihr selbst unterworfen zu sein. Für diejenigen die dieser Selbsterforschung spürend nachgehen, kann dies eine jähe - oder auch allmähliche - Offenbarung einer überweltlichen, inneren Stille eröffnen. Shiva kann in dieser Beziehung auch als jene Energie verstanden werden, die alle verhüllenden Glaubenskonzepte an die Wirklichkeit der Erscheinungswelt zerstört und so die Erkenntnis des absoluten Bewusstseins frei sprengt.

Resonanz mit dem Lehrer

Die unerschütterliche Gestalt des Berges Arunachala stellt in diesem Zusammenhang eine Widerspiegelung des ewigen Bewusstseins im Reich der Materie dar. Und genau das wird an diesem Ort für viele Menschen spürbar. Der Berg steckt diejenigen, die ihn als Meditationsobjekt und Lehrer achten, an, in Resonanz mit dem jedem innewohnenden, unveränderlichen Bewusstseinsgrund zu treten und sich als dieser zu erfahren.

Bahnt sich diese Erkenntnis ihren Weg, wird auch deutlich, dass auch der Berg der Vergänglichkeit unterworfen ist. In makrokosmischen Dimensionen wird auch der Arunachala, samt unserer Erde, unserem Sonnensystem und allen Galaxien des Universums der Vernichtung anheim fallen. In mikrokosmischen Dimensionen erkennen wir, dass auch die Moleküle und Atome seines festen Granits keineswegs unveränderliche Formen besitzen. Sie sind ständigen Veränderungen unterworfen  und auf der subatomaren Eben sogar nichts als fließende Naturkräfte und Energien. Aus einer absoluten Perspektive muss man sogar sagen, dass auch die Existenz des ältesten und härtesten Bergmassives pure Illusion darstellt. Doch genau das ist die Funktion eines spirituellen Lehrers: Er ist eine Erscheinung in der Welt der Illusion, die als Illusion über den illusorischen Charakter der Welt hinaus auf eine höhere, ungetrennte und beständige Wirklichkeit verweist. Damit macht sich der Lehrer selbst überflüssig - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Grenzen zwischen äußerem, hinweisendem Lehrer und dem sich im inneren erforschendem Schüler erweist sich als nie wirklich existent gewesene Trennungslinien. Es handelt sich um eine eingebildete Täuschung, wie die rot eingezeichneten Nationalgrenzen auf einem  Kontinent in einem Atlas der Erde. In der Natur gibt es diese Grenzlinien nicht. In Wahrheit ist der Kontinent eins. In Wahrheit ist alles eins.

Es ist höchster Genuss und vielleicht die größte Freude des Kosmos, wenn ein scheinbares Subjekt (Schüler) so sehr in Resonanz mit dem innersten Wesenskern eines scheinbaren Objekts (Lehrer) tritt, dass das Alles seiende stille Gewahrsein offenbar wird. Wer diese Stille einmal bewusst erfahren hat, weiß um den wesentlichen Sinn seines Daseins. Danach geht es nur noch darum, sich genau DEM hinzugeben und seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.

Om Namah Shiva Arunachala Jai Jai

 

Wenn es interessiert: Für 2015 und/oder 2016 sind weitere Indien-Retreats am Arunachala und am Ganges mit meiner Partnerin Padma und mir in Planung. Mehr dazu unter diesem Link:http://www.bodhisat.de/index.php/retreat-indien.html

Ein kleiner Reisebericht über einen Ausflug auf unserem letzten Ganges-Retreat 2013 findet sich hier: http://www.bodhisat.de/index.php/artikel-connection-v.html

 Torsten Brügge, Tirvuvannamalai, Süd-Indien 27.2.2014

 

 

 

 

 

 

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Dankbar für Dankbarkeit

- ein Zugang zu bedingungsloser Liebe


Strom von Liebe

In einer der letzten Satsang-Veranstaltungen mit meiner Partnerin Padma und mir berichtete eine Teilnehmerin über ihre Erfahrung von Dankbarkeit. Sie schilderte, dass es ihr in den letzten Wochen sehr gut ging und wie oft Wellen von Dankbarkeit für alles Mögliche in ihr auftauchten. Dieses Gut-Gehen, so sagte sie weiter, würde  nicht bedeuten, dass sich immer alles schön anfühlen würde. Manchmal tauchten auch Angst oder anderes Unbehagen auf. Doch dadurch, dass sie auch mit solch unangenehmem Erleben in Frieden sein konnte, hatte es kaum Gewicht. Es löste sich schnell auf und gab eine tiefere, darunter liegende Schicht von Dankbarkeit frei. So konnte sie sogar für das emotionale Missbehagen dankbar sein. Diesen Bericht trug sie in schlichten, fast sachlich klingenden Sätzen vor. Die Dankbarkeit war dennoch deutlich im Raum spürbar.
Für mich fühlt sich die Resonanz mit Dankbarkeit nach einem Geschmack unseres spirituellen Wesenskernes an. Kosten wir die innere Ruhe jenseits unseres Denkens, dann begegnen wir den Erfahrungen unseres Lebens von Natur aus in einer nicht-wertenden, liebevollen Haltung. Dann nehmen wir wahr, wie ein Strom von Liebe von uns aus zu den Dingen fließt und von den Dingen zu uns zurückschwappt. Letztlich ist Liebe das gefühlte Wissen um die niemals getrennte Verbundenheit allen Seins. Und das zu spüren, erweckt natürlicherweise Dankbarkeit.

Dankbar strahlen

Wir erkundeten zusammen noch ein wenig, wie das Erleben von Dankbarkeit sowohl Ausdruck als auch Zugang zum Erleben von Tiefe sein kann. Getrauen wir uns nämlich, die ganze Intensität von Dankbarkeit für ein Objekt – sei es ein Mensch, ein anderes Wesen oder einem Geschehen – zuzulassen, kann uns dies zu formloser, sich in alle Richtung verströmende Liebe führen und uns darin aufgehen lassen. Hier sind wir nicht mehr „dankbar für etwas“, sondern strahlen als Dankbarkeit selbst – so wie die Sonne aus sich selbst heraus strahlt, ohne zu wissen wohin oder worauf sie strahlt. Dies lässt uns dann die Form gebundene, auf Konkretes ausgerichtete Dankbarkeit umso inniger erfahren. Und dies erleichtert es uns wiederum, noch mehr die transzendente Erfahrung formloser Dankbarkeit zu genießen. Das Strahlen formloser Liebe reflektiert sich in den Formen und verstärkt sich selbst. Was für ein Leuchtfeuer der Herzenergie!

Wofür bin ich dankbar?

Das Gespräch erinnerte mich auch an die Einladung, die ich den Teilnehmern vor ein paar Wochen am Ende eines Retreat-Tages mit spontan ans Herzen legte. Die Grundstimmung an diesem Tag war von inniger formloser Liebe getragen. Zum Abschied sagte ich: „Wenn Ihr mögt, könnt Ihr heute - oder wann immer Ihr wollt - mit einer kraftvollen Selbsterforschungsfrage experimentieren. Diese Frage kann das Erleben von transzendenter Liebe spontan eröffnen oder intensivieren. Sie lautet: ‚Wofür bin ich dankbar?’„
Dies lädt unseren Geist ein, mit den Momenten erlebter Dankbarkeit echte Berührung aufzunehmen. Gerade in solchen dankbaren Augenblicken leuchtet transzendente Liebe oft besonders deutlich hervor. Unser Verstand mag das zunächst mit einer Ursache-Wirkungs-Erklärung kommentieren: „Ich bin dankbar, weil…“ oder „Ich bin dankbar für…“ Doch erlauben wir uns, wirklich hinzuspüren: Was wird da wo gespürt? Wie fühlt sich diese Dankbarkeit in unserem Körper und unserem Herzen an? Welcher Energiefluss bewegt sich da in uns? Wie ist es, den Nektar süßer Dankbarkeit unmittelbar zu kosten? Solches Spüren bewirkt schnell einen Brückenschlag von an Bedingungen gebundener Dankbarkeit hin zum direkten Erleben transzendenter Liebe. Schließlich spüren wir das liebvolle Strahlen, das von einem ortlosen Ort in uns ausgeht, alle Dinge erleuchtet, durchdringt und verbindet.

Gift Dankbarkeitsdruck

Um einem Missverständnis vorzubeugen. Bei dieser Erforschung geht es keinesfalls darum, Dankbarkeit künstlich zu erzeugen. Das ist das wunderbar Unbestechliche an echter Dankbarkeit: Sie kann gar nicht willentlich hergestellt werden. Gedanken wie „Ich muss jetzt Dankbarkeit empfinden“ oder „Ich sollte dankbar sein“ sind ein jäh wirkendes, tödliches Gift für jedes natürliche Dankgefühl. Dankbarkeit kann allerdings entdeckt werden und zwar gerade in jenen Momenten, in denen jede willentliche Anstrengung unseres Ichs von uns abfällt. Und diese Entdeckung hat Kraft – immer wieder, immer neu, immer frisch!

Dankbarkeitskonzert

Gerade gestern Abend kurz vor dem Einschlafen erklang die Frage „Wofür bin ich dankbar?“ ein weiteres Mal in meinem Geist. Sofort ließ sie ein seelisches Konzert mit ganzen Chorgesängen von konkreten und formlosen Dankbarkeitsmelodien in mir tönen? Die Liedtexte lauteten in etwas so:

Wöfür bin ich dankbar?

Ich bin dankbar dafür, in einem warmen Bett einschlafen zu können.

Ich bin dankbar, im Moment in Deutschland zu leben, einer der Nationen der Welt mit den wohl günstigsten geopolitischen und gesellschaftlichen Verhältnissen auf diesem Planeten.

Ich bin dankbar eine nun schon über 15 Jahre dauernde Liebesbeziehung mit meiner Lebenspartnerin Padma zu erleben, in der wir soviel Innigkeit und Tiefe teilen dürfen.

Ich bin dankbar für all die Zuwendung und Liebe, die ich von meinen Eltern, Großeltern und meiner sonstigen Familie erhalten habe. Sie alle gaben ihr Bestes, um mich glücklich zu machen.  

Ich bin unendlich dankbar für meine spirituellen Lehrer -  vor Allem Gangaji und Eli Jaxon-Bear (aber auch viele Andere)-, die mich so rückhaltlos auf die Möglichkeit eines befreiten Lebens verwiesen haben.

Ich bin dankbar für die ungeheure spirituelle Kraft Namens Sri Ramana Maharshi, der so viel Frieden und Selbsterkenntnis in die Leben vieler Menschen gebracht hat.

Ich bin dankbar, dass sich in mir selbst die Erfahrung von Freiheit und Frieden so tiefgreifend offenbaren konnte und ins Leben verkörpert hat. (Das ist vermutlich die größte aller Dankbarkeiten)

Ich bin dankbar für all die Begegnungen und den Austausch mit „spirituellen Suchern und Findern“, die Ahnungen von Wahrheit oder selbst ein tiefgreifendes Erwachen erfahren haben.

Ich bin dankbar für die vielen Herausforderungen, Tests und spirituellen Fallen, die in meinem Vertiefungsprozess der Entdeckung von Freiheit aufgetaucht sind und mir so immer neue Chance zur Bereinigung und klarerem Sehen gegeben haben.

Ich bin dankbar für meinen „Schreiblehrer“ Dietmar Bittrich, der mich ermutigte, meine Erfahrungen von Freiheit auch einen schriftlichen Ausdruck finden zu lassen und mich geduldig dazu „coachte“ einen  - vielleicht? – klaren und verständlichen Schreibstil zu entwickeln.

Ich bin dankbar für Wolf Schneider (Connection-Verlag) und andere Verleger, die meine und andere spirituelle Texte wertschätzen und sich oft mit enorm viel Engagement und Arbeit dafür einsetzen, Spiritualität einen größeren öffentlichen Raum zu verschaffen.

Diese Liste könnte lange, lange weitergehen. Sie würde immer enden mit:

Ich bin dankbar für die Dankbarkeit dieses Momentes.

Ich bin die Dankbarkeit dieses Momentes.

Und jetzt Schluss mit Dankbarkeit

Und jetzt bin ich – und vielleicht auch Du als Leser – dafür dankbar, das Thema Dankbarkeit wieder im Nirwana des Vergessens aller Begrifflichkeiten verschwinden zu lassen – außer es will von selbst noch ein wenig nachschwingen.

Torsten Brügge, Hamburg 31.1.2013

 
 

    

 

 

 

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 Gefahrenzone ade, Vertrauensgebiet juche!
- eine hypnotherapeutische Betrachtung der hamburger Ereignisse

Sicherheit durch Gefahrenzone?

Seit knapp einer Woche sind Teile des Hamburger Stadtgebietes von der Polizei zur „Gefahrenzone“ erklärt worden. In großen Bereichen Altonas, St. Paulis und der Sternschanze stehen den Beamten polizeiliche Sonderbefugnisse zu. So soll wieder Recht und Ordnung hergestellt werden. Polizisten dürfen ohne konkreten Anlass Personen und "mitgeführte Sachen“ ohne Angaben von Gründen überprüfen, Platzverweise aussprechen und Menschen in Gewahrsam nehmen. Zeit-Online schreibt: „Grund für die Maßnahme seien wiederholte Angriffe gegen Polizisten, die teils schwer verletzt wurden. Allein im Dezember sind laut Polizei dreimal Kommissariate angegriffen worden. Auch vor, nach und während einer Demonstration seien Polizisten und Einrichtungen massiv angegriffen worden.“

Tatsächlich ist der genaue Hergang, wie es zu diesen Gewalttaten kam, umstritten. Wie so oft bei solchen Auseinandersetzungen, gibt es verschiedene Ansichten darüber, wer wann unangemessen gehandelt und Gewalt provoziert hast. Erschreckend ist es allemal, wenn Menschen brutaler Gewalt ausgesetzt sind und verletzt werden. Ob sich diese Menschen auf Seiten von staatlichen Beamten oder anderen Bürgern befinden ist dabei zweitrangig. Deshalb finde ich es auch nur allzu verständlich, dass die Polizei ihren Mitarbeitern ein höheres Maß an Sicherheit und Schutz gewährleisten will. Doch ist die Einrichtung einer „Gefahrenzone“ das richtige Mittel dazu? Oder könnte dies genau das Gegenteil bewirken?

Konstruierte Wirklichkeit

Dabei geht es mir gar nicht so sehr darum, welche Befugnisse Polizeibeamte dann konkret haben und wie sich dies weiter auswirkt, sondern es fängt schon damit an, was der Begriff „Gefahrenzone“ in den Köpfen und im Erleben vieler Menschen bewirken könnte.

Betrachten wir es einmal aus der Perspektive der Hypnotherapie, deren Ansätze mittlerweile durch viele Erkenntnisse im Bereich moderne Hirnforschung bestätigt werden. Hier wird davon ausgegangen, dass jedes menschliche Erleben nicht die Repräsentation einer wirklichen Welt darstellt, sondern durch komplexe Deutungsprozesse unseres Denkens und Wahrnehmens konstruiert wird. Wie wir etwas erleben und auch welche Auswirkungen das auf unser Verhalten hat, kann man dabei als ein Muster von vielen zusammenhängenden Wahrnehmungselementen verstehen. Ein solches Element stellt dabei die schlichte Benennung dar, die wir einer Erfahrung oder einem Geschehen geben. Es ist die simple Frage: Welchen Namen geben wir dem Kind? Auch wenn wir es bewusst vielleicht gar nicht wollen, für den ersten Eindruck macht es einen wesentlichen Unterschied, ob uns von einem kleinen Mädchen erzählt wird und es dabei mit dem Namen „Alexandra“, „Mia“, „Chantalle-Jasmin“, „Edeltraut“ oder „Kunigunde“ benannt wird. Mit jedem dieser Namen verbinden wir Assoziationen, die uns unser unwillkürlicher Denkprozess blitzschnell meist in Form von dunkel erahnten Bildern einschießt. Hirnphysiologisch betrachtet ist der abstrakte, sprachlich fassbare Name „Edeltraut“ eher ein Phänomen in unserem Neokortex (Großhirnrinde). Hier wird – vereinfachend beschrieben - eher das bewusste, willkürliche und rationale Denken lokalisiert. Das Erleben von Stimmungen und Gefühle werden eher dem Mittelhirn und limbischen System zugeordnet. Hier findet in erster Linie ein bildliches, auditives, sensorische und emotionales Assoziationsnetzwerk seinen Platz. Das „Denken“ des Mittelhirns geschieht eher als ein „Bildern, Erklingen und Erspüren“ und ist zu großen Teilen unwillkürlich und auch unbewusst. Dennoch hat das Mittelhirn enorme Auswirkungen auf die Gesamtheit unserer Wahrnehmung, unseres Erlebens und Verhaltes. Oft bestimmt gerade das unwillkürliche Erleben unserer inneren Bilderwelt unser Denken und Handeln viel stärker, schneller und wirksamer als das abstraktere, willkürliche Denken. Was hat das alles mit der „Gefahrenzone“ in Hamburg zu tun? Einiges!

Brandgeruch im Mittelhirn

Für viele Menschen wird nämlich die harmlose Bezeichnung „Gefahrenzone“ unwillkürlich und oft unbewusst eine Flut von inneren Bildern anregen. Spüre ich in meinem Organismus neugierig nach welche Bilder er mit „Gefahrenzone“ verbindet, geht es heiß her: Brennende Mülltonen. Angezündete qualmende Autoreifen. Zerbrochene Fensterscheiben. Barrikaden auf den Strassen. Umherfliegende Steine. Zischende Geschosse. Rauch. Brandgeruch. Eilige Bewegungen. Vermummte Gestalten. Flüchtenden oder kämpfende Menschengruppen. Aggressive Gesichtszüge. Grobe Drohgebärden. Lautes Brüllen. Waffen. Blutende Wunden. Vielleicht sogar Schwerverletzte oder Leichen. Wer gerne Action- und Kriegsschinken mag, wird solche inneren Filme vielleicht aufregend finden.
Natürlich überzeichne ich hier etwas und jeder mag andere Assoziationen haben. Dennoch sollten wir nicht unterschätzen, wie stark sich solche archaischen Bilder auf unser Verhalten auswirken können – ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
Stellen wir uns vor, wir würden mit solchen Bildern im Kopf eine Gefahrenzone in Hamburg besuchen. Wie würden wir typischer Weise umherschauen? Wie würden wir gehen und stehen? Wie würden sich unser Nacken, unsere Schultern unser Bauch anfühlen? Wie würden wir atmen? Welche Körperhaltung würden wir einnehmen? Wie würden wir Menschen um uns herum einschätzen? Worauf würden wir lauschen? Welche Gedanken würden auftauchen? Was sonst noch?
So gesehen könnte uns allein die Benennung „Gefahrenzone“ zu einem sich bedroht fühlenden, angespannten, in  Abwehrhaltung verfestigten, kleinen Monster mutieren lassen, das sich in dunklen Ecken versteckt oder bei geringer Provokation anderen Menschen direkt an die Gurgel springt.
„Gefahrenzone“ würde so zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. In einer solchen Gefahrenzone würde ich als Polizist nicht so gerne auf Streife gehen. Die Gefahr, völlig unangemessen angegriffen zu werden, wäre um ein Vielfaches erhöht.

Im Angesicht dieser Betrachtungen kann man durchaus zum Schluss kommen, dass alleine das Ausrufen einer „Gefahrenzone“ zur Eskalation von Provokation, Misstrauen und Konflikt beiträgt. Da braucht es nicht einmal eine tatsächliche Ausübung willkürlicher Macht. Deshalb finde ich es sehr verständlich, dass es schon eine Petition gibt, mit denen Bürger sich für die Aufhebung der Gefahrenzone engagieren können.

Gefahrpanik oder Vertrauensvorschuss

Meine eigene Beschäftigung mit diesem Thema führte allerdings eher zu einem unterhaltsamen inneren Prozess der Umdeutung. Mein „innerer Hypnotherapeut“ fragte sich: Was würde ich anstelle einer bedrohlichen Gefahrenzone für mich und Andere lieber haben wollen? Was wäre eine Alternative zu der Bedrohungstrance, die im Unbewussten leicht angefacht werden kann? Sofort ersetzte sich in meinem Geist der Begriff „Gefahr“ durch „Vertrauen“ und „Zone“ durch „Gebiet“: VERTRAUENSGEBIET! Ja, das wäre es doch! Ich spürte nach, mit welchen Bildern dieser Begriff in mir assoziiert war: Ich sah ein grünes Stadtgebiet. Ich roch klare Luft. Hörte sanfte Stadtgeräusch. Freundliche offene Menschen gingen leicht bekleidet durch Parks und Straßen. Einige Hilfreiche wohlwollende Polizisten standen entspannt dabei. Friedliche Demonstranten befanden sich im ruhigen Gespräch mit hohen Stadtbeamten, um neue Lösungen zu finden.
Könnte ein solcher „Vertrauensvorschuss“ sowohl von der Polizei gegenüber den Bürgern, als auch von kritischen Bürgern gegenüber der Polizei nicht viel hilfreicher sein, als gegenseitiges Misstrauen. Wie wäre es, wenn wir mit solchen inneren Assoziationen das „Hamburger Vertrauensgebiet“ besuchen würden? Wie würden sich Polizisten dort im Dienst fühlen?

Am nächsten Tag geschah in mir immer wieder eine nette Transformation. Jedes Mal wenn ich in den Nachrichten „Gefahrenzone“ hörte oder das Wort las, wandelte sich der Begriff in meinem Geist mit ein paar Zwischenschritten um: „Gefahrenzone“ wurde zu „Verfahrensgetue“. „Verfahrensgetue“ wurde zu „Vetrauensgebot“. „Vetrauensgebot“ wurde zu „Vertrauensgebiet“ Und Schwups, freute ich mich auf einen spannend entspannenden Spaziergang in St. Pauli. Jetzt wäre es fast schade, wenn die die Gefahrenzone wieder aufgehoben wird. Danke an die Hamburger Polizei!

Für die Aufhebung – so das Sein es will - bin ich aber trotzdem.

Tosten Brügge aus dem hamburger Schanzenviertel,  11.1.2013

 

 

 

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Gesundheit – ein zerbrechliches Gut

Um die Weihnachtszeit erfuhr ich von einem jungen Mann, der gerade unter den Auswirkungen einer heftigen akuten körperlichen Krankheit litt. Dabei bleibt für ihn und seine Familie im Moment ungewiss, ob diese Erkrankung nur ein akutes, vorübergehendes Ereignis darstellt oder ob es die Gefahr von wiederkehrenden Krankheitsattacken gibt. In letzterem Fall könnte dies das Leben des jungen Mannes in manchen Bereichen stark einschränken.
Ganz nebenbei: Die Gefahr einer einschneidenden Erkrankung besteht natürlich für jeden von uns. Jederzeit könnte uns ein Unfall oder ein unerwartetes Gebrechen erwischen. Das würde unsere bisherigen Lebensgewohnheiten vielleicht massiv verändern. Gesundheit ist ein zerbrechliches Gut. Das ist uns oft nicht bewusst, solange wir uns eines relativ gesunden Körpers erfreuen. Der Kontakt mit konkreten Krankheitsfällen im persönlichen Umfeld macht uns diese Möglichkeit wieder bewusst. Und darin liegt ein Geschenk, uns auf das wesentliche Heilsein auszurichten.

Zuversicht im Angesicht von Krankheit

Nachdem ich die Information bezüglich des jungen Manns bekommen hatte, arbeitete es ein wenig in mir. Zunächst stieg ein wohlwollendes kleines Gebet auf. Auf einer ganz menschlichen Ebene wünschte ich ihm, dass sich seine körperliche Gesundheit stabilisieren würde. Es wäre doch erfreulich, wenn nie wieder ein solcher Krankheitsschub auftreten würde. Das ist bei dieser Symptomatik durchaus möglich.
Doch falls nicht, wie könnte ich diesem Menschen, für den Fall dass ich einmal in Kontakt mit ihm kommen würde, anschaulich erläutern, welche spirituelle Zuversicht es auch im Angesicht akuter und auch wiederkehrender körperlicher Erkrankung gibt. Ich bin mir sehr sicher, dass es möglich ist, unter jeden Lebensumständen und im Angesicht jedes Schicksalsschlages die Dimension tiefen Friedens zu erfahren. Dieser Frieden hatte sich mir bei meinem ersten Erwachenserlebnis 1991 offenbart und war seitdem zur Grundlage meines Lebens geworden ist – auch in Phasen körperlicher Krankheit oder seelischen Schmerzes. Ich persönlich habe das Glück – bis auf einige Ausnahmen – insgesamt einen recht gesunden Körper zu haben. Deshalb beruht meine Behauptung nur teilweise auf tatsächlicher Erfahrung. Allerdings gibt es auch Beispiele für die These eines von Krankheit unberührten Friedens. Eines davon spiegelt der indische Weise Sri Ramana Maharshi (http://de.wikipedia.org/wiki/Ramana_Maharshi) wieder. Er litt die letzten Jahre seines Lebens unter zahlreichen heftigen Krankheitssymptomen: Gelenkverschleiß der Knie, eine massive Wirbelsäulenverkrümmung und Krebs. Trotzdem wird berichtet, dass er unberührt von diesen körperlichen Belastungen und Einschränkungen in tiefem inneren Frieden verweilte und dies sehr kraftvoll ausstrahlte. Das weist darauf hin, dass es eine Ebene von Heilsein gibt, für die körperliche Gesundheit nur zweitrangig ist.

Behindert glücklich

Es gibt auch jetzt herausragende Menschen, die trotz einer starken körperlichen Behinderung ein erstaunlich glückliches Leben führen und viele andere Menschen inspirieren. Thomas Quasthoff wurde als schwer Contagan-Geschädigter geboren. Dennoch gelang ihm eine sehr erfolgreiche Karriere als begnadeter Bassbariton-Sänger. Er lehrt als Professor an der Hochschule für Musik in Berlin. (http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Quasthoff)
Der heute als  Motivationstrainer arbeitende Nick Vuhicic kam 1982 in Melbourne/USA ohne Arme und Beine nur mit einem Fuß ähnlichem Ansatz mit zwei Zehen auf die Welt. Das Leiden an seiner schweren Behinderung änderte sich nach seiner Aussage, als er als junger Mann seine Behinderung nicht mehr als Strafe, sondern als Herausforderung und Auftrag Gottes begriff. Heute motiviert er viele Menschen in schwierigen Situationen zu Zuversicht und Vertrauen ins Leben. Das verbindet  er mit einer göttlichen Instanz. 2011 antwortet er in einem Interview der Stuttgarter Zeitung auf die Frage, welche Bedeutung Gott für ihn hätte: „…Ich vertraue ihm voll und ganz. …Er hilft Dir in schwierigen Situationen, wenn du selbst nicht mehr weiterweißt. Natürlich ändern sich Dinge nicht. Du kannst Dir zum Beispiel keine Arme und Beine von ihm wünschen, aber sein Frieden und seine Liebe helfen mir, damit zurecht zu kommen.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Nick_Vujicic)
Solche Beispiele machen deutlich, dass auch mit extremen körperlichen Einschränkungen ein erfülltes und friedvolles Leben möglich ist. Dabei zeigt sich ein Paradox: Aus der hingebungsvollen Akzeptanz der eigenen Einschränkungen erwächst eine ungeheure Kraft und Entschlossenheit, sein Leben voll zu leben.

Lebensfluss mit Hindernissen

Ein Verständnis der Gleichzeitigkeit von Schicksalsschlägen und der Gewissheit innerer Zufriedenheit könnte man in der Metapher des Lebensflusses beschreiben. Stellen wir uns vor, jedes individuelle Leben wäre eine Reise eines Wassertropfen von der Quelle eines Flusses bis hin zu seiner Mündung ins Meer. Jeder Lebensfluss ist dabei einzigartig. Es gibt unzählige Arten von Bächen, Flüssen und Strömen. Manche fließen den ganzen Weg vom Ursprung bis zum Ziel in recht sanften Bahnen. Für sie gibt es kaum Hindernisse oder Brüche ihres Laufes. Andere Lebensflussreisen sind unberechenbar: Ein Tropfen treibt ruhig dahin. Dann stürzt er unvermittelt einen hohen Wasserfall herab. Dabei trifft er hart auf steinigen Untergrund. Für den Tropfen fühlt es sich an als würde er fast zerbrechen. Doch es schleudert ihn nur in eine seichte Bucht. Die Strömung beruhigt sich. Alles wird wieder ruhig und friedlich. An anderen Stellen trifft der Fluss auf Hindernisse. Hier staut sich das Wasser. Es scheint als würde der Tropfen nur langsam fortkommen. Vielleicht macht es sogar den Eindruck von totalem Stillstand. Dann baut sich Druck auf. Irgendwann fegt die Wucht des Wassers das Hindernis beiseite. Der Fluss ergießt sich mit neuer Kraft in Richtung Meer. Oder der angestaute Wasserdruck lässt den Fluss einen völlig neuen, vielleicht besseren Lauf finden. An manchem Abschnitt entstehen ungewöhnliche Wirbel und Strömungen. Sie schwemmen unseren Wassertropfen sogar wieder Flussaufwärts. Dann scheinen wir gegen den Strom schwimmen zu müssen. Die Umgebung leistet uns Widerstand. Schließlich wendet sich auch hier wieder die Strömung in Richtung Meer. Plötzlich werden wir leicht von den Wassermassen getragen und geleitet. Es fühlt sich an, als würden wir einfach dahin schweben. Wir überlassen uns dem Strom. Er bringt uns sicher ans Ziel.
Wir könnten uns noch viele andere Wege eines Wassertropfens von der Quelle bis ins Meer vorstellen. Es gibt unendlich viele. Doch ist es nicht erstaunlich? Irgendwie findet jeder Wassertropfen – früher oder später - seinen Weg in den Ozean.

Ewiges Wasser

Und es gibt noch Erstaunlicheres: Der immerwährende Kreislauf des Wassers. Die Atome aus denen unser Wasser besteht sind älter als die Erde selbst. Man vermutet, dass sie zwischen 5 und 10 Milliarden Jahre alt sind. Die Menge des Wassers auf der Erde ändert sich – außer bei Meteoriteneinschlägen – nicht. Das Wasser zirkuliert in einem ewigen Kreislauf: Von den Meeren und Seen des Planeten verdunstet es, steigt als Wasserdampf auf und hält sich ein paar Tage in der Atmosphäre. Dann regnet es ab und fließt wieder über die Flüsse in die Meere. Bis sich das gesamte Wasser in allen Weltmeeren vollständig erneuert hat vergehen im Mittel nur ca. 2600 Jahre. Die meisten Wassermoleküle haben also im Laufe der Erdgeschichte schon Millionen mal den Weg von einer Wasserquelle an Land zurück ins Meer gemacht.

Gelassen im Fluss

Der Metapher vom Lebensfluss eines Wassertropfen gibt das eine schöne Portion Gelassenheit: Wie wäre es, wenn sich der Tropfen auf seine ureigenste Natur des Wasserseins besinnen würde? Wenn er sich wieder mit dem Wissen verbindet, dass er aus der formlosen Wassermasse in Seen und Ozeanen hervorgegangen ist? Zu ihrem eigenen Vergnügen hat sie sich in die Formen von Wassertopfen aufgespalten, um auf diese Weise vielfältige Reisen anzutreten. Doch egal was einem Wassertropfen gerade zustößt, ob er gerade seicht dahin fließt, im brackigen Schlamm steckt oder hart auf die Steine in Stromschnellen geschlagen wird, er ist und bleibt das ewige Wasser des Lebens! Die Reisewege mögen manchmal gar nicht harmonisch erscheinen. Und es gehört auch dazu, dass der Tropfen seine ursprüngliche Natur vergisst. Deshalb ist es nur verständlich, dass er manchmal wütend darauf ist, umhergeschmissen zu werden. Vielleicht hat er zeitweise Angst vor der nächsten unberechenbaren Flussbiegung oder verzweifelt daran, dass der Fluss scheinbar ins Stocken gerät. Zugleich kann sich der Tropfen jederzeit seiner wahren Natur besinnen und in sich spüren, wie er das ewige ungetrübte Wasser ist. Ausgestattet mit dieser Gewissheit, wäre es nur noch zweitrangig, ob der Lebensfluss des Tropfens in sanften Schwüngen oder mit harten Brüchen strömt. Er könnte in Frieden mit Allem sein. Und wenn er es wäre, könnte das eine wunderbare Botschaft für Andere ausstrahlen: „Hey, ich bin das Wasser des Meeres - schon jetzt. Und Du bist es auch – schon jetzt. Egal wo und wie es uns gerade herumwirbelt.“ Allein diese Erkenntnis könnte das Leben des Tropfens zu einem vollkommen Sinn erfüllten Leben machen.
Vielleicht würde ich dem jungen Mann diese Geschichte von den Tropfen im Lebensfluss und vom ewigen Wasser erzählen. Und vielleicht würde er ahnen, dass es sich lohnt nach innen zu schauen und herauszufinden, was unseren wahren Wesenskern ausmacht. Dann wird es möglich, mit Allem in Frieden zu sein.

Torsten Brügge, Baden-Baden 2013

 

 

 

 

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Subkultursprache
Jede Subkultur hat ihre eigene Sprache. Sie ist Ausdruck und Funktion dessen, was vermittelt werden soll. In der Satsang- und Advaita-Szene gibt es manchmal interessante neue Sprachformen. Zu Zeiten arten diese aber auch in abstrakte Worthülsen aus. Dann haben sie nur noch wenig mit der unmittelbaren Erfahrung zu tun, sondern führen in neue Starre und Unechtheit.
In Veranstaltungen, bei denen ich in der Rolle eines spirituellen Lehrers zur Verfügung stehe, werde ich von Teilnehmern manchmal gefragt: „Wie ist es denn bei Dir: Hast Du noch Gedanken?“ oder „Denkst Du überhaupt noch?“ Hinter solchen Fragen stecken oft vorgefertigte Modelle darüber, was Erwachen oder Erleuchtung für einen Menschen bedeuten würde. Eine sich hartnäckig haltende Vorstellung besteht darin zu glauben, dass ein Mensch, der zu seiner wahren Natur erwacht ist, überhaupt nicht mehr denken würde. Hier wird „Freiheit vom Denken“ mit „Abwesenheit von Gedanken“ verwechselt.

Spirituell korrekt
In meiner Anfangszeit in der Rolle eines Satsang-Lehrers habe ich solche Fragen oft in einer typischen und damals für mich stimmigen Weise „spirituell korrekt“ beantwortet. Tatsächlich entsprachen diese Antworten damals meiner direkten Erfahrung. Und auch heute gibt es verschiedene Ebenen auf der ich die Frage „Denke ich noch?“ für mich selbst – und dann auch für andere – beantworte. Auf einer tieferen Ebene würde ich mein Erleben so beschreiben: Denken findet manchmal statt. Oder: Gedanken tauchen zeitweise auf, ohne dass ich das Gefühl hätte, dass sie von einem Ich oder gar „meinem Ich“ erzeugt werden würden. Doch jetzt gerade taucht beim Schreiben dieser Antworten auch das Gefühl auf, dass solche Formulierungen für mich im Kontext der heutigen Satsang-Szene oft schon abgegriffen erscheinen.
Besonders deutlich wurden mir diese Merkwürdigkeiten einer „spirituelle Sprache“ als ich zufällig ein Youtube-Video von einem recht bekannten Advaita-Lehrer sah. Dieser Lehrer gehört zu denjenigen, die sehr die absolute Ebene des Unpersönlichen betonen - mit Botschaften wie „Es gibt kein Ich“ oder „Niemand handelt“ usw.
Der Interviewer stellte im Video eine Reihe von ähnlichen Fragen. Sie wurden vom Lehrer auf ähnliche Weise beantwortet. Das lief in etwa so:

Interviewer: „Wie ist es denn jetzt für Dich: Hast Du noch Ängste?“
Lehrer: „Angst taucht auf. Aber es gibt kein Ich, das diese Angst hat?“
Interviewer: „Hmmmh, und wie ist es mit Wut: Wirst Du manchmal so richtig wütend?“
Lehrer: „Wut taucht auf. Aber es gibt niemanden, der sie hat.“
In der Art ging es noch etwas weiter. Dann machte der Interviewer irgendeinen Scherz. Die Atmosphäre lockerte sich. Beide begannen öfters zu lachen. So drehte sich das Gespräch zunächst in eine andere Richtung. Doch plötzlich viel dem Interviewer wieder eine Frage ein: „Was ich eigentlich auch noch wissen wollte: Träumst Du eigentlich noch?“ Der Lehrer antwortete im heiteren Gesprächsfluss spontan: „Ja natürlich träume ic…“ Dann spürte man förmlich, wie sich der Lehrer innerlich auf die Zunge biss. Mitten in der Formulierung von „ich“ rief er sich selbst zur Ordnung und stoppte. Dann antwortete er ernst: „Träume tauchen auf, aber es ist keiner da, der träumt“.
An dieser Stelle musste ich herzlich lachen. Mir wurde noch mal um einiges deutlicher, wie ich selbst in der Vergangenheit wohl auch einer ähnlichen Künstlichkeit - getreu dem Advaitasprech - verfallen war. Bloß nicht von der absoluten Wahrheit abweichen! Bloß dem Ich-Gedanken kein Gewicht geben! Immer sofort auf das transzendente Sein schauen! Das war die damalige Maxime.

Sprache ohne Ich-Gedanken?
Ich erinnere mich daran, wie ich damals dachte: „Wir sollten eigentlich eine ganz andere Sprache sprechen, in der der Ich-Gedanke nicht mehr gebraucht wird.“ Diese Intention hatte eine gute Absicht und auch eine hilfreiche Funktion. Es ist offensichtlich, wie stark die Fehl-Identifikation mit unserer Person Leiden erschafft. Auf der gedanklichen Ebene wird dieses Leiden durch den Ich-Gedanken eingeleitet.  Die Begrenzungen und Einschränkungen, die ihm oft folgen, verlocken uns in eine Leidens-Trance: „Ich bin… nicht gut genug …hässlich …dumm … traurig“ „Ich… schaffe es nicht“ „Ich …muss das tun, obwohl ich es eigentlich nicht will …brauche, dass Andere mich lieben.“ All diese Leidensmuster beginnen mit und knüpfen sich an den Gedanken „Ich“. Deshalb ist es tatsächlich äußerst hilfreich – und ich würde sagen ein „Muss“ echter Selbsterforschung –, wachsam für den Ich-Gedanken zu sein. Erst wenn wir ihn als Gedanken entlarven, wird uns klar, dass wir ihm und seinen Anhängseln nicht zwanghaft folgen müssen. Dann werden wir darauf neugierig zu erforschen, was das eigentliche Seinsempfinden des ICH BIN ist, bevor sich unsere Aufmerksamkeit in der Fehl-Identifikation mit „Ich bin…“-Gedanken verliert.
Insofern ist es ein spannendes Experiment, wenn wir uns vorstellen, vielleicht einen ganzen Tag konsequent auf den Ich-Gedanken zu verzichten. Natürlich wird er trotzdem auftauchen. Aber wie wäre es, wenn wir jeden Gedanken in dem „ich“ vorkommt nutzen um zur reinen Präsenz aufzuwachen. Wie ein Meditationsgong der uns zum Innehalten einlädt: „Ich…“ –Goooooonnnnng – Stille.

Lass Zwergnase denken
Wem das zu radikal erscheint könnte einen lustigen Zwischenschritt ausprobieren: Wie wäre es, den Ich-Gedanken durch einen anderen Gedanken zu ersetzen. Anstatt „Ich“ könnten wir den Namen einer netten Märchen- oder Fabelgestalt einsetzen. Die Auswahl ist groß: Zwerg Nase. Hans im Glück. Die Prinzessin auf der Erbse. Puh der Bär. Auch Gestalten aus Fernsehserien eignen sich: Graf Zahl, Biene Maja oder der rosarote Panther. Das mag sich albern anhören, bis wir es tatsächlich ausprobieren. Ein stressiger Gedanken am Morgen wie „Jetzt muss ich schon wieder so früh aufstehen!“ fühlt sich ganz anders an, wenn wir ihn mit „Jetzt muss Zwergnase schon wieder so früh aufstehen!“ ersetzen. Im Badezimmer schauen wir in den Spiegel und denken: „Biene Maja sieht ja ganz verquollen aus.“ Am Frühstückstisch macht es uns wenig aus, wenn bloß die Prinzessin auf der Erbse so morgenmuffelig dreinschaut, während wir schon über diese Idee schmunzeln. Und unser Kontostand macht – Gott sei Dank - nur Graf Zahl sorgen. Solches „Gedanken-Ersetzen“ ist kein Allheilmittel. Doch es macht deutlich, wie leicht und spielerisch wir die Muster von Fehlidentifikation aufbrechen können.
Auch eher abstrakte Advaita-Sprache erfüllt diesen Zweck:  „Hier wird gerade Wut erlebt“ kann sich sehr viel leichter anfühlen als „Ich bin wütend“. „Nachdenken geschieht“ ist auf eine Art wahrer und müheloser als „Ich denke nach“. Allerdings sollten wir auch wachsam dafür sein, wenn solche Sprachmuster zu einer neuen starren Gewohnheit werden. Dann enden sie manchmal in einer kaum zu überbietenden Künstlichkeit. „Hier ist niemand da, der jemals etwas getan oder gelassen hat“. Stimmt! Aber dieser Niemand könnte das doch besser in edlem Schweigen kommunizieren. Und meist ist der Einzige, der andere von seinem Niemand-Sein überzeugen muss, ein fetter Jemand.

Wieder normal werden
Nachdem ich selbst solch eine Phase des Advaitasprechs durchlaufen habe, bin ich langsam wieder auf den Geschmack des Normalen gekommen. Ich finde es mittlerweile viel spannender eine Sprache zu benutzen, die sich natürlicher anfühlt. Das spricht vielleicht auch an, die noch nicht in Kontakt mit Advaita- und Satsangideen gekommen sind, aber sich sehr wohl nach Freiheit sehnen und reif für ein tiefes Verständnis sind.
Dabei gönne ich mir immer mal wieder ein wenig Advaitasprech, eben weil es auch so gut  Wahrheit ausdrückt. Aber wer die Keiner-ist-hier-Sprache nicht versteht kann bei mir gerne nachfragen. Im Gegensatz zu dem oben erwähnten Lehrer. Von ihm habe ich noch eine vielsagende Geschichte gehört: Eine Teilnehmerin einer seiner Vorträge rief den Lehrer am Tag nach der Veranstaltung an. Ihr hatte der Vortrag gut gefallen, sie hatte allerdings noch eine dringende Frage. Der Lehrer ging ans Telefon. Die Frau begann: „Also ich habe da noch ein Frage…“ Weiter kam sie nicht. Sie hörte aus der Leitung nur noch ein genervtes „Es gibt kein Ich!“ und schon hatte der Lehrer schon aufgelegt. Das mag man „radikale Lehre“ oder „absolute Arroganz“ nennen.

Denke ich noch?
Zurück zur Frage „Denke ich noch?“. Heutzutage neige ich oft zu einer verdammt normalen Antwort: „Ja klar denke ich noch! Ich bin doch nicht zu einem hirnlosen Deppen geworden.“ Und während diese Antwort gedacht, gesagt oder geschrieben wird, ist im Hintergrund trotzdem die Gewissheit da, dass es tatsächlich kein Ich gibt, welches diesen Gedanken eigenständig hervorbringt; dass nichts anderes als das allumfassende SEIN genau diesen Gedanken gerade jetzt denkt; und dass auf einer noch tieferen Ebene selbst der Gedanke „Gedanke“ ein substanzloses Phänomen ist, das niemals existiert hat - im Sinne von „aus sich selbst heraus bestehend“.
Und hier fällt mir banaler Weise der alte Schlager von Juliane Werding ein: „Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst…“. Wenn wir das erkennen, haben wir ein leichtes Spiel – mit oder ohne Advaitasprech.

Torsten Brügge, Hamburg 3.12.2013



 


 

 
 




 



 





 

 

 

 

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Lasst uns Rettungsflugzeugträger bauen!

Die schreckliche Naturkatastrophe auf den Philippinen zeigt wie verletzlich die Menschheit ist und offenbart Abgründe von Hilflosigkeit, Schmerz und Leid. Das bricht mir manchmal das Herz - noch weiter auf.

Zugleich finde ich es berührend, welche Betroffenheit sich in großen Teilen der Weltbevölkerung und auch auf der Ebene der nationalen Regierungen zeigt und dass daraus auch echte Hilfshandlung folgen. Ermutigend ist für mich, dass die USA ihren Flugzeugträger "USS George Washington" mit 5000 Marinesoldaten und 80 Flugzeugen an Bord zu humanitären Hilfsarbeiten in das Katastrophengebiet schickt. War das früher schon so, dass nationale Katastrophen weltweit so viel und "so schnell" breite Betroffenheit und konkrete Hilfsangebote auslösten? Ich möchte hoffen: Globale Anteilnahme und Mitgefühl haben zugenommen und finden zunehmend auch Ausdruck in politischer und ganz praktischer Handlung.

Heute Nacht um 3:30 Uhr kam mir die naive Idee: "Lasst uns Rettungsflugzeugträger bauen!" Ein moderner Flugzeugträger kostet einen Anschaffungspreis zwischen 2 und 12 Milliarden Euro. Der Unterhalt schlägt mit ca. 800 Millionen Euro pro Jahr zu Buche. Das kann sich eine Weltgemeinschaft locker leisten!

Flugzeugträger stellen heute mit die Spitze der militärischen Machtinstrumente dar. Sie können auf dem ganzen Planeten flexibel und autonom operieren. Es gibt weltweit ca. 40 aktive Flugzeugträger. Doch was bringen Flugzeugträger bisher in die entlegendsten Ecken der Welt? Militär, Waffen, Bomben, Gewalt und Tod.

Man stelle sich vor, ein globaler Verbund von Nationen unter Leitung einer internationalen Organisation würden nur einen oder zwei Flugzeugträger bauen oder umrüsten, die nicht für den militärischen Einsatz, sondern für rein humanitäre Zwecke der Unterstützung bei Naturkatastrophen und ähnlichen globalen Wunden der Menschheit auf Mutter Erde dienen.  Was würden diese Schiffe dorthin bringen? Nahrung, Wasser, medizinische Versorgung, Aufbau von Infrastruktur, Mitgefühl, Linderung von Leiden, Dankbarkeit. Man stelle sich vor, welche Motivation die vielleicht 3000-5000 Besatzungsmitgliedern dieses Rettungsgiganten beflügeln würde: Ein sprudeln von Energie und Engagement im Dienst einer höchst sinnvollen Aufgabe.

Vielleicht können die Amerikaner damit anfangen - immerhin tun sie es ja schon ein wenig mit ihrer jetzigen Hilfsaktion. Wie würde sich der Ruf der Amerikaner als "Weltpolizist" ändern, wenn sie vielleicht die Initiative für ein solches Projekt übernehmen wollen. Wie begeistert wären die Bürger anderer wohlhabenden und armen Staaten, sich an einem solchen Projekt beteiligen zu können.

Ist eine solche Idee wirklich naiv? Mag sein. Auch 10 oder 100 solcher Schiffe wären nur ein Tropfen auf den heißen Stein des menschlichen Leides und es gibt viele Ebenen von Leiden, die wir auf andere Art und Weise, durch die Erforschung unseres Bewusstseins durchdringen und lösen müssen.

Aber verdammt nochmal: Es ist auch an der Zeit, Rettungsflugzeugträger zu bauen!

 in stillem Mitgefühl für die leidenden Menschen auf den Philippinen

 Torsten Brügge, 13.11.2013

 

 

 

 

 

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Anmerkung vorweg: Ich hätte mir gewünscht, den Inhalt dieses Blogbeitrages kürzer fassen zu können. Doch nach vielfacher Überarbeitung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Komplexität dieses Thema auch einen entsprechenden Raum braucht. Ich mute dem Leser hier eine gewisse Überlänge zu. Aber auch manch guter Kinofilm wäre ohne Überlänge nur ein Flop geworden. Wer trotzdem gerne ohne genauere Vorerklärungen zu dem Kernpunkt diese Beitrages "Die Wichtigkeit relativer Wahrheiten“ springen will, kann auch ab der Überschrift „Spirituelle Bezeichner" anfangen zu lesen.

 

 

Der Dreisatz des Advaita

 

Im Folgenden möchte ich meinen letzten Blog-Beitrag „Der Erdbeergeschmack des Absoluten“ um eine weitere Perspektive ergänzen. Im Beitrag hatte ich ausgeführt, wie ein differenziertes Verständnis einer absoluten und einer relativen Seinsebene bei der Reflektion spiritueller Selbst- und Welterkenntnis hilfreich sein kann. Dabei ist es wichtig, ein paradoxes Nebeneinander dieser beiden Dimensionen zuzulassen, anstatt in eine einseitige Überbetonung eine der beiden Dimensionen zu verfallen. Ein solches Verständnis kommt übrigens auch in dem klassischen „Dreisatz des Advaita-Vedanta“ zum Ausdruck:

 

1. Die Welt ist unwirklich
2. Nur Brahman allein ist wirklich
3. Brahman ist die Welt

 

Formulieren wir diese Sätze einmal als eine Abfolge von Einladungen zur Selbsterkenntnis, könnte sich das so anhören:

 

  1. Durchschaue, dass unsere herkömmliche, relative Sichtweise der Wellt eine Täuschung ist
  2. Erkenne das unveränderliche, ewig bestehende, absolute Sein
  3. Erfahre, dass die relative Ebene vom absoluten Sein nicht getrennt ist, sondern eine Spielart des Absoluten darstellt und wertschätze so alles Relative auf neue Weise

 

Ich möchte dem Verständnis von relativer und absoluter Ebene eine kleine aber wichtige Variation hinzufügen. Wie so oft habe ich diese ergänzende Sichtweise in großer Klarheit zum ersten Mal in den Texten Ken Wilbers entdeckt. Wilber findet häufig treffende Begrifflichkeiten von „Wahrheiten“, die ich in meiner eigenen Erfahrung selbst intuitiv oft schon erahnt habe, für die mir aber klare Worte fehlten. Ich bin Wilber immer wieder sehr dankbar dafür, dass er für so Vieles einleuchtenden und erleuchtende Begrifflichkeiten findet.

 

Alles illusorische Wahrgebung

 

Auf der relativen Seinsebene – die ich hier auch „Erscheinungswelt“ nennen möchte – nehmen wir voneinander getrennte Objekte und Wesen, Schwankungen von Zuständen, den Fluss von Zeit und die Vielfalt von Phänomen war. Aus der absoluten Perspektive - der Dimension unveränderlichen Gewahrseins – können wir alles Relative als reine Illusion betrachten. Ich werde die Aussage des letzten Satzes später selbst wieder relativieren, möchte aber zunächst begründen, warum sie einen plausiblen Wahrheitsanspruch hat: Die Hirnforschung hat mittlerweile klar festgestellt, dass uns die Erscheinungswelt immer durch den Filter neuronaler Verarbeitung vermittelt wird.

 

Die Welt „da draußen“ ist ein Konstrukt unseres Geistes. Unsere meist unwillkürlichen Denkprozesse bündeln das Chaos unfassbar vieler Sinneseindrücke und deren Assoziationen mit vergangenen Erfahrungen zu Informationen mit Bedeutung..

 

Diese Verarbeitungsprozesse sind dabei von einem derartig umfangreichen Ausmaß, dass zum Beispiel der Hypnotherapeut Dr. Gunther Schmidt die Auffassung vertritt, wir sollten anstelle des Begriffs „Wahrnehmung“ lieber das Wort „Wahrgebung“ verwenden. In seinen Vortragen scherzt er mit seinen Zuhörern: „Wie Sie für mich aussehen, bestimme immer noch ich - beziehungsweise die Verarbeitungsprozesse in meinem Gehirn. Sie können noch so schön sein, wenn mein Gehirn es will, sehe ich Sie hässlich. Oder Sie können noch so hässlich sein, mein Gehirn kann Sie locker schönsehen.“

 

Das macht deutlich, dass der Sinngehalt, den wir unseren Wahrnehmungen zuschreiben, nicht als etwas von vornherein Bestehendes erkannt, sondern immer durch unser Denken als Deutung zugeschrieben wird.

 

Nur scheinbar beständig

 

Dabei vermittelt uns unser gewöhnlicher Gedankenprozess zunächst, dass die Objekte der Welt als scheinbar voneinander getrennte und aus sich selbst bestehende, feste Objekte bestehen würden. Uns erscheinen Objekte der äußeren Welt (Gegenstände, Wesen, Stoffe) und Objekte der inneren Welt (Körperzustände, Gefühlszustände, Geisteszustände) als „echt echt wirklich wirklich“ (ebenfalls ein Zitat von Dr. G. Schmidt). Gedanken wie „Dies ist ein Tisch“ oder „Ich erlebe Angst“ vermitteln uns den Eindruck, dass es einen Tisch oder Angst tatsächlich so gibt, wie es uns erscheint. Auch die Benennung „Ich" und die Ideen „Ich bin dieser Körper“ und „Ich bin diese Person“ sind Teil der vom Denken vorgegebenen Täuschung.

 

Erforschen wir genauer, was die Natur dieser Gedanken ist, dann finden wir in unserer direkten Erfahrung heraus, dass es sich nur um subtanzlose und höchst vergängliche Erscheinungen handelt. Gedanken kommen und gehen. Sinneseindrücke kommen und gehen. Gefühle kommen und gehen. Sowohl durch innere (kontemplative) als auch durch äußere (objektiv wissenschaftliche) Erforschung entdecken wir, dass sowohl jedes innerlichen Erleben als auch jedes äußerlich beobachtbare Phänomen durch Vergänglichkeit gekennzeichnet ist. Der Buddha nannte deshalb „vergänglich“ (sanskrit: annica) als eine der drei Wesensmerkmale aller Erscheinungen. Unsere Gedanken erwecken zwar den Anschein, die Erfahrungsobjekte besäßen Beständigkeit, doch dabei handelt es sich um eine Täuschung.

 

Und gerade diese Gedankenwelt, die uns Festigkeit vorgaukelt, ist das am meisten unfassbare Phänomen. Sobald wir einen Gedanken wirklich innerlich betrachten, löst er sich auf oder wird von anderen abgelöst. Mit meditativem Gewahrsein können wir uns davon jederzeit selbst überzeugen. Diese mysteriöse „geistige Energie“, die unsere Wahrnehmungswelt erschafft, beschreiben manche spirituellen Ausrichtungen als „Licht“ oder „Ton“. Das hat insofern seine Berechtigung, als dass die meisten Menschen gedankliches Geschehen als innere Stimme hören oder als Abfolge von Bildern, Symbolen oder Schriftzeichen vor ihrem inneren Auge sehen. Doch sollten wir dabei nicht vergessen, dass auch die Begrifflichkeiten „Ton“ und „Licht“ wiederum nur konzeptuelle Metaphern sind und keineswegs gegebene, absolute Begrifflichkeiten darstellen. Das werde ich später noch im Zusammenhang mit dem von Wilber als so wichtig erachteteten „Mythos des Gegebenen“ genauer erläutern.

 

Keine Bedeutung ohne Kontext

 

Unser begriffliches Denken versucht eine Vielfalt von Sinneseindrücken zu bündeln und zu einer greifbaren, nutzbaren Vorstellung zu verdichten. Hinzukommt, dass Begriffe nie für sich alleine Bedeutung haben. Ihr Sinngehalt wird erst durch ein Assoziationsnetzwerk mit einer Vielzahl anderer Gedankenkonstrukten erschaffen. Kurz gesagt: Bedeutung ist immer auch kontextabhängig: Ein „Auflauf“ kann etwas vollkommen anderes bedeuten, je nachdem, ob wir damit eine leckere Mahlzeit oder eine Ansammlung von Menschen verknüpfen. Eine „Lösung“ könnte die hilfreiche Antwort auf eine Fragestellung, die Mischung einer Substanz in einer Flüssigkeit oder die Beendigung einer zwischenmenschlichen Beziehung bedeuten. Für sich genommen - ohne Sinnzusammenhang - ist „L ö s u n g“ nur die Kombination von sinnlosen Lauten oder Symbole aus Strichen, Kurven und Punkten. Das ist es, was der Buddha mit „anatta“ (sanskrit: ohne eigenständiges Selbst), dem zweiten Wesensmerkmal aller Erscheinungen, meinte. Damit nahm er die Ansätze modernen systemischen Denkens vorweg: Jedwede Escheinung und die Bedeutung, die sie für uns hat, kann nur als eine Wechselwirkung von miteinander in Beziehung stehenden Elementen verstanden werden. Die Bedeutung eines Begriffes - und damit die Interpretation der Erscheinungswelt - ist immer nur in einem Kontext von anderen Sinnzusammenhängen denkbar. Für sich genommen ist jedes Wort nichts als bedeutungsloser Schall und Rauch – und nicht mal das, denn auch „Schall“ und „Rauch“ gibt es nicht als eigenständige Begrifflichkeiten.

 

Jenseits von Deutungsfiltern

 

Der Kontext von Bedeutung ist nicht etwas fest vorgegebenes, sondern vermittelt sich über ein hochkomplexes Entwicklungsnetzwerk menschlicher Evolution von Kultur und Sprache. Erst dadurch, dass „Begriffswelten“ über viele Menschengenerationen hinweg weitergegeben und verändert wurden entstand genau das Interpretationssystem, durch dessen Filter wir unser Erfahrungen hier und jetzt wahrnehmen und beschreiben. Kurz: Das erste „Ugaahh ugaahh happa happa ugahh“ vor 6 Millionen Jahren brauchte einige Zeit bis es sich zu einem wohlformulierten: „Kommt doch bitte zu Tisch, unser veganer Tofubraten samt grünem Smoothie ist fertig und wir können jetzt essen“.

 

Die Tatsache, dass in diesem Moment die Sätze dieses komplexen Textes durch meinen Kopf gehen und aufgeschrieben werden können, baut auf unzähligen Entwicklungsleistungen der Evolution auf. Der frühscholastische Philosoph Bernard von Chartres hat dazu ein schönes Bild: „Wir sind gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können - freilich nicht dank eigener scharfer Sehkraft oder Körpergröße, sondern weil die Größe der Riesen uns zu Hilfe kommt und uns emporhebt.“ Ich könnte auch sagen,  dieser Haufen Sternenstaub hier hat in 14 Milliarden Jahren langsam aber sicher über sich selbst nachdenken und sprechen gelernt.

 

Natürlich könnten auch solche Beschreibungen aus einer absoluten Perspektive in Frage gestellt werden: Gibt es überhaupt Zeit? Gibt es Raum? Gibt es ein Universum? Gibt es Begriffe? Gibt es einen Geist? All das sind wichtige Fragen. Und wir ahnen vermutlich wortlos, dass wir diese aus den tiefsten Ebenen unseres Seins sogar mit einem entschiedenen "Nein" beantworten könnten. Das ist jedenfalls die mystische Schau, die zum Beispiel auch Sri Ramana Maharshi zu Teil wurde und die er mit dem Satz „Nichts ist jemals geschehen“ auf den Punkt brachte.

 

GLEICHZEITIG können wir dieses "Nein" nur Denken und aussprechen, weil wir mit einem bestimmten Aspekt unseres Seins eben doch als ein Mensch in Raum und Zeit erscheinen – auch wenn es statt einer „Raumzeit“ eher eine „Traumzeit“ sein mag. Dieser Mensch lernte als Säugling im Schneckentempo "jjjj...aaaaa“ und "nnnnnn.....ei … ei …ei.....nnnnn" schlicht dadurch, dass er seinen Eltern zunächst sinnlos erscheinende Laute nachplapperte und davon diejenigen auswählte, die eine emotionale Resonanz bei ihnen hervorriefen. Daraus folgt, dass jeder Mensch diesem Konditionierungsprozess von Sprache, die seine Art der Wahrnehmungsfilterung prägt, ausgesetzt ist. Dieser Wahrnehmungsfilterung der konditionierten Denk- und Sprachbildung können wir nicht entgehen! Selbst wenn wir über tiefste philosophische oder spirituelle Erkenntnisse sprechen und zum Beispiel unsere gedanklichen Deutungen als „Ton“, „Licht“ oder „Energie“ bezeichnen, geschieht dies immer im Rahmen unserer sprachlichen Prägung und hat schon deshalb keinen absoluten Wahrheitsanspruch.

 

Der Mythos des Gegebenen

 

In dieser Beziehung weist Wilber auf den „Mythos des Gegebenen“ hin, der bei einigen spirituellen Lehrern und Lehren nicht einbezogen wird. Hier wird manchmal davon ausgegangen, dass bestimmte Begrifflichkeiten und deren assoziatives Netzwerk so etwas wie festgeschriebene, nicht weiter-hinterfragbare Wissen und Wahrheiten darstellen würden. Doch das ist ein Irrtum höchsten Ranges! Er wurde in der westlichen Kultur durch den postmodernen Konstruktivismus aufgedeckt: Kein Verständnis ist einfach nur „so da“, sondern immer nur im konstruierten Kontext unserer geprägten Sprachkultur gedeutet. Dies gilt auch für die Begriffe „Licht“, „Ton“, „Zeit“, „Realität“ und „Illusion“ – und „überhaupt Alles“. Wenn wir über sie so sprechen, als wüssten wir, was sie „wirklich wirklich echt echt“ bedeuten, übergehen wir die Tatsache, dass sie für jeden Menschen, zu jeder Zeit, unter verschiedenen Umständen etwas sehr Anderes bedeuten können und häufig auch tun.

 

Illusion der Illusion

 

Das aber wirft uns zurück auf einen merkwürdigen inneren Widerspruch, der gerade die vermeintlich tiefsten Aussagen über absolute Dimension und Erscheinungswelt des Seins nicht verschont. Denn wenn wir Aussagen machen wie „Die Welt ist nicht real. Alles ist Illusion“ klingt das zunächst verlockend schön nach einer absoluten Wahrheit, an der sich unsichere Seelen endlich festhalten können. „Hurra jetzt weiß ich es: Die Welt ist nicht real. Alles ist Illusion. Das ist es!“. Doch dabei übersehen wir leicht, dass auch „Welt“, „real“ und „Illusion“ genau denselben illusorischen und relativen – weil vergänglichen und kontext-bezogenen – Charakter haben, wie alle anderen Begrifflichkeiten. Insofern ist die Aussage „Die Welt ist Illusion“ selbst pure Illusion und erweist sich als genauso falsch oder richtig wie die Aussage „Die Welt ist real“ oder „Die Welt ist ein halbverbrannter Apfelkuchen“.

 

Solche Betrachtungen machen deutlich, was alle Mystiker in direkter Innenschau entdeckt haben und sich im Tao de King in einem Satz verdichtet findet: „Das Tao, das du benennen kannst, ist nicht das wahre Tao.“ Diese Einsicht ermuntert uns zu einer wunderbaren Achtsamkeit: Egal was sich als vermeintlich absolute Wahrheit in unserem Geist formuliert, es ist letztlich nur ein substanzloses Konzept.

 

Dabei können Wort und Vorstellungen sehr wohl einen Hinweis-Charakter auf die absolute Seinsdimension haben – ob wir diese nun Tao, Buddha-Natur, GEIST, Allah oder Gott nennen. Dann deuten Worte über sich selbst hinaus auf ein WISSEN, das unmittelbarer und vor der begrifflichen Festlegung besteht. Doch sollten wir äußerste Vorsicht walten lassen, dass wir die Worte, die wir für die Beschreibung der direkten Schau benutzen, nicht wieder als „die Wahrheit selbst“ missverstehen. Nach meinem Empfinden gilt das für absolut JEDEN Satz, der uns über irgendeine Art spiritueller Wahrheit im Gehirn aufleuchtet, seinen Weg auf die Zunge, auf ein Blatt Papier oder in den Cyberspace auf einen Blog findet. Lassen wir dies außer Acht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir Wahrheitseinblicke wieder zu neuen Wahrheitskonzepten zementieren und uns und Anderen diesen Kunststeine auf den Kopfhauen.

 

Unfassbares Wissen

 

Dabei dürfen und sollten wir es Wert schätzen, dass Sprachbildung und die Erweiterung begrifflichen Denkens in der Evolution überhaupt stattgefunden haben. Erst dadurch können wir über Realität und Illusion überhaupt begrifflich reflektieren. Jedes intelligente In-Frage-Stellen findet in diesem Sinne also mit Begrifflichkeiten statt, die wir zunächst unhinterfragt angenommen haben. Im Falle tieferer philosophisch-spiritueller Erkenntnisse stellen sich die Begrifflichkeiten dann wieder selbst in Frage, bzw. weisen über sich hinaus auf eine andere Dimension des VERSTEHENS. Ist das nicht ein Wunder in sich selbst? In Entwicklungsmodellen nennt man dies das „Prinzip der Emergenz“ (Emergenz=Emporsteigen). Das besagt, dass auf einer höheren Ebene das Neue immer mehr ist, als die Summe seiner alten Teile. Die alte Ebene wird transzendiert, weil das Neue mehr Weite und umfassendere Freiheitsgrade offenbart. So überschreitet die Ratio sich selbst und emergiert in transrationale Reflektion. Begriffe stellen ihre eigne begriffliche Wahrheit in Frage und die Reflektion weitet sich in mystische Bereiche unfassbaren und doch klaren Wissens.

 

Aber nochmal zurück und weil es etwas komplex ist, hier eine kleine Wiederholung: Wie wir etwas interpretieren und damit wie wir auf der Ebene der Erscheinungswelt „unsere Welt“ sehen, hängt von den Interpretationsfiltern unseres begrifflichen Denkens ab. Diese schaffen die Perspektive. Wenn wir sowohl die Kontextabhängigkeit als auch die Substanzlosigkeit von gedanklichen Phänomenen tiefgreifend erkennen, dann kommen wir zu dem Schluss, dass letztlich jeder Gedanke und das, was er als Wirklichkeit zu erkennen vorgibt, einen illusorischen Charakter hat. Anders gesagt: Ein Gedanke konstatiert nie eine unveränderlich, aus sich-selbst heraus bestehende Wirklichkeit, sondern stellt bloß eine relative Perspektive dar, die vom Subjekt und dessen kulturell-konditionierter Eingebundenheit geformt wird. In diesem Sinne hat eine gedankliche Erkenntnis, wie der Buddha sagt, auch immer einen unbefriedigenden Charakter (das 3. Wesensmerkmal von dukkha = „leidvoll/unbefriedigend“) – zumindest dann, wenn wir von ihr erwarten, dass sie uns eine verlässlichen universale Wahrheit widerspiegeln sollte. Sorry liebe absolute Wahrheit, du hast keine Chance! Dich gibt es nicht!

 

Wahrheit ist kein Gedanke

 

Erstaunlicherweise weist genau die Erkenntnis, dass wir das Absolute nicht gedanklich fassen können, auf die absolute Dimension reinen Gewahrseins hin. Dazu reicht es allerdings nicht aus, sich nur mental an den Rand des rationalen Verstehens zu begeben. Wir müssen uns auch in die lebendige innere Erfahrung und das kontemplative Erkunden meditativer Bewusstseinszuständen fallen lassen. Wenn ich erkenne und spüre, dass alles, was gedacht wird, nicht absolute Wahrheit sein kann, bin ich eher bereit, die Wahrheit „meiner Identität“ und „meiner Welt“ nicht mehr an Gedanken fest zu machen. Dann lasse ich mich ganz von alleine auf eine radikal andere Weise der Wahrnehmung ein. Die spirituelle Lehrerin Byron Katie weist auf diese Öffnung hin, wenn sie fragt „Wer wärest Du ohne Deine Gedanken?“ Hier eröffnet sich uns eine innere Stille, die das Auftauchen von Gedanken nicht mit dem Sehen von Wirklichkeit verwechselt, sondern sich als ein Ruhen in reiner nicht-begrifflicher Bewusstheit offenbart. Natürlich sind auch die Begriffe „innere Stille“ und „reine Bewusstheit“ wieder nur gedankliche „Zeichen“ für eine Wahrheit jenseits vom Denken.

 

Zeichen und Bezeichnetes

 

Die Semiotik, die wissenschaftliche Betrachtung von Zeichensystemen aller Art (zum Beispiel Bilderschrift, Gestik, Sprache), beschreibt es sehr gut. Sie macht einen Unterschied zwischen Signifikant (Bezeichnendes) und Signifikat (Bezeichnetes). Die gedanklichen Zeichen, also zum Beispiel der formulierte Gedanke „Erdbeere“ verweist auf die komplexe Erfahrungsbedeutung, die wir mit diesen Zeichen verknüpfen. Natürlich ist das Wort „Erdbeere“ nicht die Erfahrung der Erdbeere selbst. Diese „Bedeutung“ erschließt sich uns erst, wenn wir uns irgendwann mal auf die direkte Erfahrung einer Erdebeere eingelassen haben und ein komplexes Netzwerk weiterer Erfahrungselemente, wie zum Beispiel die sinnliche Repräsentation von deren Aussehen, Geruch, Geschmack, Konsistenz, usw., geknüpft wurde.

 

Der Sinngehalt eines Zeichens lässt sich also nur aus dem Zusammenhang mit anderen verknüpften Repräsentationen ableiten (Kontextabhänigigkeit, siehe oben). Das nennt man dann Semantik. Und diese lässt sich nur durch ein Regelwerk von Zeichenstrukturen (Syntax), welche die jeweilige Signifikate miteinander verbinden und strukturieren, beschreiben. Das hört sich kompliziert an und ist es - verdammt noch mal - auch. Dennoch hilft uns ein Verständnis dieser Sprachelemente, den Glauben an die Festigkeit unserer gewohnheitsmäßigen Wahrnehmungskonstruktion aufzubrechen und macht deutlich wie grundlegend alles "Wahrgebung" statt "Wahrnehmung" ist.

 

Spirituelle Bezeichner

 

Außerdem kann uns das Wissen um diese Grundlagen der Semiotik deutlich machen, dass spirituelle Begriffe immer nur „Bezeichner“ für Erfahrungen sind, deren direktes Erleben jeweils im Bedeutungsnetzwerk eines jeden Menschen und bezüglich seiner kulturellen Eingebetetheit sehr unterschiedlich sein können. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass alle authentischen Mystiker und spirituellen Meister ihre direkte Schau von Wahrheit einerseits in ihrer eigenen Sprache mit Nachdruck bezeugen, andererseits aber gleich wieder mit der Ergänzung versehen: „Bitte glaubt meinen Worten nicht! Macht Eure eigene Erfahrung!“ Sie sind sich dessen bewusst, dass ihre Worte nur Hinweiszeichen sind. So sehr diese aus als hilfreiche Inspiration wirken mögen, nur die selben Worte des Lehrers nachzuplappern hilft dem Schüler nicht! Denn Jeder und Jede "muss" ihre ganz eigene Erfahrung selbst machen.

 

Die knifflige Rolle spiritueller Bezeichner bringt Sri Nisargadatta auf den Punkt. Seine vielfältigen Erläuterungen über die absolute und mystische Dimension von Wirklichkeit begann er manchmal mit dem Satz: „Ich versichere Ihnen: Alles was ich sage ist eine Lüge, aber das, worüber ich spreche, ist die Wahrheit.“

 

Offenes Nicht-Verstehen

 

Es gibt vielfältige Zugänge und unterstützende Selbsterforschungen, die das direkte Erfahren der absoluten, nicht-begrifflichen Seinsebene bahnen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass unser Geist loslässt und in seine stille Quelle zurücksinkt. (Man verzeihe mir die Eigenwerbung, aber in meinem Buch „Besser als Glück“ beschreibe ich eine ganze Menge von ihnen). Aus dieser absoluten Ebene heraus können wir mit Fug und Recht sagen: Jede begriffliche Aussage, die eine unumstößliche Wahrheit festlegen will, ist bloße Illusion. Dies gilt übrigens auch für die vermeintlich unumstößliche Aussage des vorherigen Satzes. Und da haben wir es wieder: Den Geschmack des Paradoxen! Ist es wahr, dass nichts wahr ist? Und wenn das wahr wäre, wäre es dann nicht zugleich unwahr, weil dann eben auch nicht wahr sein könnte, dass nichts wahr ist? Sind solche Reflektionen verrückt? Nein. Sie bringen unseren Verstand nicht an den Rand des Wahnsinns, sondern an die Grenzen rationalen Denkens. Und von dort aus darf sich unser Geist gerne in den unfassbaren Raum nicht-zu-verstehender Stille werfen – einfach nur mal eben so. Gerade jetzt. Wer mag, nehme hier also einen tiefen Atemzug und genieße den Wandel kurzer Verwirrung in die Hingabe ans Nicht-Wissen. Sollte da gerade die Ahnung aufleuchten „Dann kann und brauche ich ja gar nichts verstehen!" dann ermuntere ich: Ja, richtig. Wir können und brauchen nichts verstehen! Das ist doch ungeheuer entlastend oder nicht !?

 

Der Wert relativer Wahrheiten

 

Und dann geht’s wieder weiter in die Welt des Verstehens: Bisher haben wir die Ebene vermeintlich fester Wahrheiten als illusorisch durchleuchtet. Es hat sich herausgestellt, wie sehr Bedeutungsgebung und Konstruktion von Sinngehalt unsere Sichtweise bestimmen. Die Dinge sind nicht, wie sie sind, sondern werden von uns mit Bedeutung versehen, je nachdem aus welcher Perspektive wir sie betrachten und deuten. Wir haben vielleicht auch schon eine Ahnung oder sogar ein gespürtes Wissen, um die absolute Ebene reinen formlosen und nicht-begrifflichen Gewahrseins. Doch dazwischen gibt es noch eine andere Ebene, die wir ebenfalls beachten sollten: Die Ebenen der relativen Wahrheiten.

 

Dazu eine kleine Geschichte. Stellen wir uns vor, zwei Personen gehen im Dunkeln durch den Wald. Plötzlich glaubt eine Person, dass vor ihr ein großer Mann mit einem langen Messer steht. Sie bekommt schreckliche Angst, dreht sich schon halb um und will weglaufen.

 

Die andere Person hat eine Taschenlampe. Ihre Reaktion stellen wir uns mal auf zwei Arten vor. Sie könnte anfangen den Anderen spirituell zu belehren: „Pass mal auf. Alles was Du wahrnimmst ist in Wirklichkeit gar nicht real. Das hat schon mein spiritueller Lehrer gesagt. In Wahrheit gibt es Dein Ich, das Angst hat gar nicht. Und es gibt auch nichts, was Dich bedrohen könnte. Deine Angst ist eine eingebildete Illusion. Sehe einfach all Deine Gedanken als nicht-real an und Du wirst Dich beruhigen. Und Du kannst auch nicht sterben, denn Du bist das ewige Bewusstsein hinter den Dingen... Was, das hilft Dir nicht?.... Warte ich erläutere Dir das noch mal anders: Also alles ist nur Energie…“ Es mag sein, dass eine solche Aussage bei dem Anderen ankommt und ihn erreicht, doch die Wahrscheinlichkeit ist eher gering.

 

Die andere Person könnte aber auch einfach ihre Taschenlampe einschalten und in die Richtung des vermeintlichen Angreifer leuchten. Sie erkennt, dass da nur ein Bäumchen steht, welches im Mondlicht ein wenig wie die Silhouette eines Menschen mit einem Messer in erhobenen Hand aussieht. Sie ruft „Warte mal! Da ist gar kein Angreifer, sondern nur ein Bäumchen. Du hast gerade Angst, weil Du glaubst etwas Bedrohliches gesehen zu haben. Doch ich habe hingeleuchtet. Guck doch auch mal hin.“

 

Bei der letzten Antwort, die vermutlich die hilfreichere ist, handelt es sich um eine relative Wahrheit. Die Idee „Das ist ein schrecklicher Angreifer“ ist eine falsche Annahme, eine verzerrte Perspektive, eine relative Unwahrheit. Die Aufklärung "Moment mal, Deine relative Perspektive ist so nicht zutreffend. Schau doch noch mal besser hin" klärt die falsche Annahme und führt zu einer angemessenen und hilfreichen relativen Perspektive.

 

Nochmal: Die erste Aussage beschreibt absolute Wahrheit. Die zweite deutet auf relative Wahrheit. In unserem Beispiel wäre die relative Wahrheit zunächst wesentlich hilfreicher als die Absolute. Die absolute Wahrheit würde unter diesen Umständen vermutlich überhaupt nicht gehört werden können.

 

Führt eine relative Antwort zunächst zu einem relativem Verständnis und einer relativen Beruhigung, könnten die beiden Personen weiter entspannt durch den Wald gehen und vielleicht würde sie dann in Ruhe über die absolute Wahrheit philosophieren und sie gemeinsam erforschen.

 

Absolute Einfühlungsunfähigkeit

 

Manche spirituellen Lehren und Lehrer betonen in ihrer Vermittlung sehr die absolute Ebene. Sie sagen mit Nachdruck „Alles ist Illusion“ und versuchen Alles, um Alles als Illusion zu entlarven. Das hat seinen Wert (wie ich es in meinem vergangenen Blog-Beitrag auch beschreibe). Doch wird diese Betonung einseitig und parteiisch für das Absolute, wird mit der erforderlichen Zurückweisung aller relativen Illusionen, gleich alle Aspekte relativer Wahrheiten mit verdammt. Hier wird mal wieder das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Die Illusion der Erscheinungswelt wird zwar transzendiert, aber die relativen Wahrheiten der Erscheinungswelt werden dabei abgespalten, statt einbezogen und Wert geschätzt zu werden.

 

Das bringt eine Reihe von Nachteilen mit sich. Zum Beispiel die mangelnde Fähigkeit, Menschen in ihren jeweiligen Erlebenszustand oder auf ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe einfühlsam abzuholen und dadurch sanft aber wirksam zu Entwicklung und Befreiung anzuregen. Hier meine ich mit dem Begriff "Entwicklung" sowohl das Reifen zu einem authentischen Ich, als auch die "Ent-Wicklung" als De-Identifikation aus der "Ver-Wicklung" in die Vorstellung eines begrenzten, persönlichen Ichs und damit die Entdeckung der transpersonalen Natur des Bewusstseins.

 

Blind für spirituelle blinde Flecken

 

Wenn diese "absolut absoluten Lehrer" Menschen mit ihrer absolut absoluten Botschaft nicht erreichen, führt das manchmal zu einer tiefen Frustration. Es gibt zwei Weisen auf diese Frustration zu reagieren. Eine besteht darin, sich wieder auf eine neue Weise für die relative Erscheinungswelt zu öffnen, ihre Wichtigkeit und Bedeutung anzuerkennen und sie in das eigenen Leben und Lehren zu integrieren. Dabei darf und sollte das Gegründetsein im Absoluten durchaus Bestand haben und kann sich sogar gerade durch die Einbeziehung des Relativen vertiefen.

 

Die andere Möglichkeit besteht darin, die eigene Frustration zu verleugnen und sich krampfhaft an der absoluten Perspektive festzuhalten. Das führt oft dazu, dass die direkte Erfahrung zu rigiden „absoluten Konzepten“ versteinert. Im Extremfall entsteht daraus ein „Fundamentalismus des Absoluten“ der mit überhöhtem Sendungsbewusstsein Anderen – auch denjenigen, die nach dieser Erläuterung überhaupt nicht fragen - einbimsen will, dass Sie doch bitte Alles als reine Illusion ansehen sollten.

 

Wer sich dann doch der Erscheinungswelt aufmerksam zuwendet, z.B. indem er zwischen relativer Illusion und relativen Wahrheiten unterscheidet, wird aus dem Kreis der „wahrhaft Erleuchteten“ ausgeschlossen, denn er hat ja nicht erkannt, das Alles Illusion ist.

 

Diese Dynamik kann manchmal groteske Züge annehmen, in denen der „absolut Erleuchtete“ wesentlich Teile seiner innere Psychodynamik hartnäckig verleugnet, bzw. unbewusst ausagiert. (Ein Verständnis dafür, wie das zustande kommt, habe in meinem Blog-Beitrag „falsches Ich, wahres Ich und WAHRES SELBST" zu erläutern versucht. Kurz: Weil die relative Ebene in Bausch und Bogen abgelehnt wird, wird auch die Auseinandersetzung mit Schattenanteilen, die auf der relativen Ebene zu einem erleuchteten Dasein wichtig ist, oft sträflich vernachlässigt.)

 

Auch typische Entwicklungskrisen und -störungen können oft nur durch ein begriffliche Perspektiven auf der Ebenen der relativen Wahrheiten erkannt werden. (siehe meinen Artikel "spirituelle Krankheiten" in der Connection). Doch wenn wir jeden Gedanken ausschließlich als „reine Illusion“ abtun, neigen wir auch dazu hilfreiche Entwicklungsperspektiven, die sich mit unterschiedlichen Ebene und deren Emergenz in der Zeit beschäftigt (siehe unten) als pure Illusion zu negieren und ungenutzt zu lassen. Damit werden wir aber blind für die genaue Diagnose von spirituellen Fallen und „Krankheiten“ - und sehen nicht, wenn wir selbst in eine tappen. Denn eine der schwerwiegendsten spirituellen Krankheiten ist gerade die „Kausale Störung“ welche auf einen Alleinvertretungsanspruch des Konzeptes „Die Welt ist Illusion, nur Brahman ist wirklich.“ pocht und dabei die umfassende non-duale Integration alles Weltlichen als Brahman noch nicht vollzogen hat.

 

Wenn wir uns durch Überhöhung einer absoluten Perspektive garnicht nicht mehr mit dem Relativen beschäftigen wollen, sind wir auch meist unwillig, verschiedene Wahrheitsperspektiven auf der relativen Ebenen zu erkunden. Das doch zu tun, kann allerdings äußerst nützlich sein. Erkenntnis-Systeme wie Spiral Dynamic oder Ken Wilbers Integrales Modell können mittlerweile sehr klar die Bandbreite relativer Wahrheits-Perspektiven aufzeigen. Wilber sagt dabei sinngemäß: „Es gibt keine alleingültigen Wahrheiten, sondern nur unterschiedliche Perspektiven auf Wahrheit“. Ein integrales Verständnis achtet und erkundet dabei alle möglichen Perspektiven, weist aber auch darauf hin, dass sie immer nur einen begrenzten Gültigkeitsbereich haben (zum Beispiel nur die Perspektive eines Quadranten, einer Ebene, einer Entwicklungslinie...). Der Anspruch, es gäbe einen Alleinvertretungsanspruch auf die „letztendliche Wahrheit“, wird damit zugleich rücksichtslos, aber auch liebevoll ausgehebelt.

 

Wenn wir bereitwillig sind, uns auch mit diesen relativen Wahrheiten zu beschäftigen fördert dies unser Einfühlungsvermögen für praktisch alle Erkenntnisperspektiven der Menschheitsgeschichte und damit auch für die unterschiedlichen Perspektiven unserer Mitmenschen. Und erst, wenn wir uns in diese hineinversetzen und nachfühlen können, wie unser Mitmensch auf seiner Ebene „tickt“, denkt, spürt, und auch spirituell empfindet, können wir ihm optimal angemessen begegnen und vielleicht zur Weiterentwicklung anregen – und zwar in dem Maß, wie es von ihm gewollt ist. (Neben den Werken von Wilber empfehle ich an dieser Stelle das Buch „Gott 9.0“, das solche Perspektiven mit einem Schwerpunkt auf christliche Perspektiven darstellt)

 

Der fantastische Sandstrand des Seins

 

Und noch mal : Wenn wir von „relativen Wahrheiten“ reden, geht es nicht darum, die jeweilige Wahrheit als „absolut“ zu verkaufen. Das ist sie nicht! Relative Wahrheiten sollten wir immer nur als „Perspektiven“ verstehen, die gewisse Teilaspekte des Seins begrifflich zu erfassen suchen. Jede Perspektive hat dabei ein „Körnchen Wahrheit“ und einen Erkenntnisbereich in dem sie anwendbar ist und wirken kann. Sie hat immer auch Begrenzungen und kann destruktiv wirken, vor allem dann, wenn sie als absolut überhöht wird. Die „ganze Wahrheit“ - also der fantastische Sandstrand des Seins - ist durch relative Teilwahrheiten begrifflich nie zu erfassen. Und wir sollten immer achtsam dafür sein, dass jede begriffliche Perspektive auch immer nur einen Landkartencharakter hat. Die echte Landschaft erfahren wir eher durch das unmittelbare Erleben, sei es sinnlich, emotional, geistig, übersinnlich oder transrational in mystischer Schau.

 

Die relativen Perspektive zeigen relative Teilwahrheiten auf. Sie alle als „gleich illusorisch“ abzutun ist eine simplifizierende Haltung, die der Komplexität der Erscheinungswelt schlicht und einfach nicht gerecht wird.

 

Mit diesem Beitrag plädiere ich in keiner Weise gegen die Erkenntnis des illusorischen Charakters der Erscheinungswelt. Im Gegenteil: Es ist ungeheuer wichtig – und meiner Meinung nach sogar unerlässlich - das spirituelle Lehrer und Lehren diese Wahrheit in ihrer ganzen Tiefe und Radikalität erkennen und zugänglich machen. Dafür sollten wir allen Menschen dankbar sein, die das gut erläutern können und zur direkten Erfahrung dieser Wahrheit einladen. Erst eine radikale De-Identifikation vom Wahrheitsanspruch unserer Gewohnheitswirklichkeit ermöglicht einen gesunden Abstand dazu und eröffnet vollkommen neuen Perspektive. Wozu ich mich hier stark machen möchte, ist es, eine umfassende und weite Perspektive beizubehalten, in der sowohl die absolute Seinsdimension als auch die Wertschätzung der relativen Erscheinungsebene einschließlich einer differenzierte Einbeziehung relativer Wahrheitsperspektiven Platz haben.

 

Forschergeist für Nichts und Alles

 

Wenn wir diese Offenheit entdecken, sind wir fähig, zwei Aspekte des Seins nebeneinander zu erfahren. Wir dürfen die Auflösung aller Begrifflichkeit zulassen und uns als zeitlose, unangetastete Ganzheit absoluten Bewusstseins erfahren. Und es ist ebenso fantastisch, mit Neugier und Forschergeist der weiteren Evolution des Bewussteins unter Einbeziehung aller sich stetig erweiternden relativen Wahrheitsperspektiven beizuwohnen und ein lebendiger Teil davon zu sein.

 

 Torsten Brügge, Hamburg den 3.11.13

 

 

 

 

 

 

 

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Der Weise kann mich mal!

- Erleuchtungsstress abschütteln

 

Identifizierung total egal

Es gibt ein interessantes Zitat von meinem Lehrer Sri Poonjaji: „Einen wahrhaft Erleuchteten kümmert es nicht, ob er identifiziert ist oder nicht!“ Aus der Sichtweise des Advaita bedeutet „identifiziert“, dass man an die Realität der Erscheinungswelt glaubt, sich mit einer individuellen Person, deren Eigenschaften und Geschichte auf eine leidvolle Weise gleichsetzt und darüber seine wahre Natur als unangetasteter Frieden übersieht. Manchmal wird es dann zum Ideal erklärt, dass man als „weiser erleuchteter Mensch“ nie wieder an die Realität der Erscheinungswelt glaubt und sich auch gar nicht mehr mit seinem Körper identifiziert. Sri Poonjaji , der von vielen als ein meisterhafter Lehrer des Advaita wertgeschätzt wurde, rüttelt mit seiner Aussage kräftig an dieser Idealvorstellung.

Sein Ausspruch, dass es einem befreiten Menschen nicht kümmert, ob er Identifizierung erlebt oder nicht, kann in zwei Richtungen verstanden werden. Es könnte als Einladung zu einer nachlässigen Beliebigkeit missverstanden werden, als wenn es vollkommen egal wäre, ob wir gerade unsere Ich-Gedanken glauben, damit die begrenzte Identifikation mit einer Person erleben und damit auch Unklarheit und Leiden für uns selber und andere erschaffen. Das meinte Poonjaji mit Sicherheit nicht. Seine sonstige Vermittlung spiritueller Selbsterforschung und das Beispiel seines alltäglichen Lebens zeigt das sehr deutlich.

 

Über-Ich-Idealsieruungen von Erleuchtung

Was er – meiner Ansicht nach – mit dieser Aussage andeuten wollte, ist eine tiefere Ebene von Freiheit, die nicht an einem Ideal der Nicht-Identifikation oder eines Zustandes ständiger Klarheit anhaftet und diesen eine übermäßige Bedeutung gibt. Insofern kann diese Aussage eine große Entlastung und Gelassenheit mit sich bringen, die uns von dem „Über-Ich“ Anspruch, immer klar, nicht-identifiziert und bloß-keinem-Gedanken-glaubend durch die Gegend laufen zu müssen, befreit. Denn glauben wir an strenge spirituelle Konzepten wie „Erleuchtung bedeutet, dass ich meine wahre Natur niemals vergessen darf“, hat das oft missliche Auswirkungen. Es verstärkt die Identifikation mit einem Ego, das überhöhten Ansprüchen hinterher jagt und glaubt, sich selbst in Richtung vollkommener Erleuchtung trimmen zu müssen.

Außerdem liegt bei einer solchen Haltung oft eine Verwechslung von absoluter und relativer Ebene vor. Es stimmt: Auf der absoluten Ebene sind wir der Erleuchtungs-Geist, der niemals von der Erscheinungswelt berührt wird. Hier waren wir, sind wir und werden wir niemals identifiziert sein. Von hier aus wird kein einziger Gedanke als wahr geglaubt. Diese Reinheit stillen Gewahrseins allerdings auf eine Person oder einen Menschen im Sinne einer feststehenden Eigenschaft wie „vollkommen erleuchtet“ oder „vollständig verwirklicht“ zu projizieren, birgt Gefahren. Damit erschaffen wir das Ideal eines „spirituellen Übermenschen“, jagen ihm nach oder halten uns gar selbst für einen solchen, bloß weil wir Einblicke in unsere wahre Natur erhascht haben und wir den Geschmack der Nicht-Identifikation aus eigener Erfahrung kennen. Der Stolz, über eine vermeintlich eigene Perfektion kann sehr leicht ein neues und umso fetteres Ego aufbauen. Zugleich werden wir diesen idealisierten Anspruch auf Vollkommenheit auch auf Andere Anwenden. Sind wir uns nicht bewusst, dass die Idee einer perfekt erleuchteten Person den strengen Ansprüchen unseres Über-Ichs und seinen falschen Vorstellungen von spiritueller Vollkommenheit entspringen, neigen wir dazu, Andere zornig oder mit unterdrückter Wut, aber einem innerlich moralisch erhobenen Zeigefinder ihre Unvollkommenheit zu predigen. Dabei halten wir uns selbst vielleicht für den moralisch einwandfreien Vertreter höchster Wahrheit.

Das Fatale dabei: Eine solche Haltung verstärkt eher die typisch strengen und rigiden Strukturen unseres Ichs. Sie dient deshalb keineswegs der Vermittlung spiritueller Freiheit und Friedens, sondern bewirkt oft genau das Gegenteil.

 

Frieden mit der spirituellen Unvollkommenheit

Wer diese inneren Dynamik klarer durchschauen möchte, empfehlen ich das Studium der 1er-Fixierung im Enneagramm, zum Beispiel im Buch „Das spirituelle Enneagramm“ von Eli-Jaxon-Bear. Erst wenn wir unsere Über-Ich-Strukturen klar durchschauen, ihnen damit die Energie entziehen und zu einer wahrhaft friedvollen Haltung mit allen vermeintlichen „Unvollkommenheiten“ – einschließlich den spirituellen – finden, können wir für uns selbst allumfassenden Frieden finden und ihn auch authentisch vermitteln.

Dann macht es überhaupt nichts aus, wenn wir von Zeit zu Zeit einen Gedanken glauben oder uns identifizieren. Im Gegenteil: Genau solche Momente lehren uns neue Demut, dass unsere „vollkommene Erleuchtung“ nur eingebildet war und immer noch weiteres Durchschauen und umfassendere Befreiung möglich ist. Wer propagiert, er selbst oder sein Lehrer/seine Lehrerin wären von allen Tendenzen der Fehl-Identifikation oder der möglichen Anhaftung an Glaubensmuster befreit, legt den Verdacht nahe in bloßen Konzepten von Erleuchtung eingeschlafen zu sein, statt endlos weiter für die Arroganz des Mind wachsam zu sein. Sri Poonjaji empfahl: „Wachsamkeit bis zum letzten Atemzug!“, damit die subtile Verfestigung neuer Identifikationsmuster – auch gerade der spirituellen –  erkannt und gleich wieder gelöst wird. Ist das ein Widerspruch zu seiner ersten Aussage? Aber Ja. Das ist ja gerade das tolle an guten Lehrern: Sie widersprechen sich oft. So kann der Mind nicht an gewohnten Denkmustern festhalten. Echte transrationale Erkenntnisfähigkeit überschreitet eine „Entweder-oder-Haltung“ und kann das „Sowohl-als-auch“ wertschätzen.

Die befreiende Botschaft „Ein wahrhaft Erleuchteter kümmert es nicht, ob er identifiziert ist oder nicht“ kann uns entspannen. Und mit der Gelassenheit vertieft sich unsere lebendige Erfahrung, dass kein Gedanke wahr ist und die Identifikation mit einer Peron unser wahres Wesen niemals berührt hat.

Om in Mauer

 

Erleuchtungsstress abschütteln

Wir dürfen sogar „vergessen, wer wir wirklich sind“, denn die tiefste Stille, die wir sind, hat mit diesem Vergessen aber auch überhaupt kein Problem. Eine Meta-Bewusstheit umfasst somit sowohl klare, bewusste, nicht-identifizierte Zustände als auch die wertfreie, bewusste, liebevolle Annahme von Zuständen der Unbewusstheit und Identifikation. Dann können wir klar erkennen, dass wir das sind, was den Wechsel dieser Zustände bezeugt und zugleich unangetastet bleibt. Ansonsten laufen wir Gefahr in der Falle, die Edgar Hofer treffend als „die Identifikation mit der Nicht-Identifikation“ betitelt, stecken zu bleiben. Das ist vielleicht die am schwersten zu durchschauende spirituelle Verzerrung, die es überhaupt gibt, weil sie sich als so überaus erleuchtet gibt und auch – oberflächlich empfunden – so anfühlt.

Es ist eine Gratwanderung. Einerseits ist es ungeheuer wichtig, identifizierte und verwirrte Geisteszustände von der Klarheit des Erleuchtungsgeistes zu unterscheiden. Andererseits sollten wir uns nicht vom falschen Ideal einer idealisierten persönlichen Erleuchtung in Erleuchtungs-Stress versetzten lassen.

Wenn wir Sätze hören oder lesen, die mit „Der Erleuchtete ist immer…“ „Der Weise weiß jederzeit….“ „Der Erwachte bleibt ständig…“  Können wir in uns selbst prüfen, ob wir solche Aussagen als wohltuende Hinweise auf das Potential umfassender Freiheit kosten oder uns derartige Verallgemeinerungen eher in eine tiefere Identifikation mit der „Ich-bin-nicht-gut-genug“-Trance versetzen. Im ersten Fall sind wir der Erläuterung dieser Weisheit vielleicht sehr dankbar. Im zweiten Fall dürfen wir uns ein herzhaft befreiendes „Der Weise kann mich mal…“ erlauben, uns den Erleuchtungsstress abschütteln und alle Idealisierungen von Erleuchtung über Bord schmeißen. Und komisch: Plötzlich sind wir selbst ein Stück erleuchteter als die Prediger der vollkommenen Erleuchtung ;-). Aber auch diesen Gedanken sollten wir schnell wieder über Bord schmeißen und am besten selber in die heiligen Wasser des NICHTS hinterher springen. Hier lassen wir sämtliche in Sprache gegossenen Einsichten wieder in die STILLE REINEN NICHT-WISSENS zerfließen.


Torsten Brügge, Amrum, Oktober 2013

www.bodhisat.de

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Dieser Blogbeitrag entstand durch die Erwiderung auf einen Kommentar zu einem meiner vorherigen Blogbeiträge.

Da es sich hier um eine  Erläuterung eines – wie ich finde – sehr grundlegenden Themas, über das eigentlich alle spirituellen Sucher/Finder informiert sein sollten, handelt, habe ich ihm eine ausführlichere Betrachtung eingeräumt. Es dreht sich dabei um das paradoxe Nebeneinander der absoluten und relativen Dimension der Wirklichkeit.

 

Hallo Alfred,

danke für Deinen Kommentar zum meinem vorherigen Blogbeitrag:

Um einige Missverständnisse aus dem Weg zu Räumen, möchte ich hier eine Sichtweise darstellen, die ein paradoxes Nebeneinander zweier Perspektiven zulässt. Im Buddhismus wird dies "die Lehre der zwei Wahrheiten" genannt. Dort wird sowohl davor gewarnt, nur eine der beiden Sichtweisen für wahr zu halten, als auch beide undifferenziert in einen Topf zu werfen. Kurz gesagt handelt es sich dabei um das Nebeneinander der unmittelbaren Erfahrung der absoluten Seinsdimension und deren Erleben und Beschreiben auf der relativen Seinsebene. Letztendlich sind auch diese beiden Dimensionen nicht voneinander getrennt, doch fehlt uns auf der Ebene sprachlicher Kommunikation die Bewusstheit für den unterschiedlichen Charakter der beiden Anteile, kommt es zu einem verwirrten sprachlichen Durcheinander und nicht selten zu einem überheblichen Bestehen auf begrenzten Standpunkten.

Zunächst beschreibe ich die „Lehre der zwei Wahrheiten“ anhand einer einfachen Metapher und später –philosophisch differenzierter – auch mit „typisch spirituellen“ Begrifflichkeiten.

 

Reiner Erdbeergeschmack und Erdbeersprache

Stellen wir uns vor, wie beschäftigen uns mit dem Thema „Wie schmeckt eine Erdbeere?“ Wir können die Erdbeere essen und so ihren köstlichen Geschmack direkt kosten. Oder wir könnten über den Geschmack der Erdbeere sprechen. Beides hat seinen Platz. Im Moment des direkten Schmeckens erlauben wir uns, das gesamte sinnliche Geschmackserlebnis  auf uns wirken zu lassen. Dabei genießen wir umso mehr, je weniger wir denken und je mehr wir uns auf die reinen Sinnesempfindungen einlassen. Auch Begrifflichkeiten wie „süß“, „weich“, „fruchtig“ oder „Erdbeergeschmack“ sind im direkten Moment des Schmeckens unwichtig. Wir schwelgen einfach in der Köstlichkeit des Aromas.

Ein wahrhaftiger Genießer wird auf die Frage „Wie schmeckt die Erdbeere, die Du gerade ist?“ sagen: „Bitte lass sie mich erstmal wirklich kosten. Darüber reden können wir vielleicht später“. Im Moment des reinen, absoluten Schmeckens verliert sich sogar die Trennung von Schmeckendem und Geschmecktem. Alles ist in diesem Moment der eine, reine ERDBEERGESCHMACK.

Wollen wir uns aber über die Qualität der Erdbeere sprachlich austauschen - beispielsweise um sie mit anderen Erdbeeren zu vergleichen oder Menschen, die noch nie eine Erdbeere gekostet haben, neugierig auf den Geschmack zu machen - dann brauchen wir Begrifflichkeiten für unser Erleben. Wir müssen Worte finden: Für das Aussehen der Erdbeere. Für ihren Geruch. Für die Art wie sie sich anfühlt, wenn wir sie anfassen. Dafür welche Konsistenz wir spüren, wenn wir von ihr abbeißen und sie zerkauen. Und natürlich für die vielfältigen Geschmacksnuancen, während die weiche Erdbeermasse an unserer Zunge entlang in den Rachen gleitet und dort in der Speiseröhre verschwindet.

Geben wir uns als „Erdbeerexperte“ aus und wollen wir uns mit anderen Erdbeerexperten über Erdbeeren austauschen, macht es Sinn ein sehr differenziertes Begriffssystem für die vielfältigen Elemente der „Erdbeer-Erfahrung“ zu finden. Erst dann können wir den Unterschied einer köstlich vollreifen, Bio-Erdebeere und einer halbgrünen, wässrig, geschmacklosen, in einer künstlichen Nährlösung aufgezogenen Gen-Gewächshaus-Erdbeere erfassen und klar kommunizieren.

Erdbeeren

Erst Schmecken, dann Sprechen – aber bitte klar

Von einem „echten Erdbeerexperten“ würde ich erwarten, dass er sich mit beiden Aspekten auskennt: Er sollte ein wahrhaftiger Genießer des unmittelbaren Geschmacks sein. Erst so bekommt er einen Zugang zur lebendigen Erfahrung. Das ist unerlässlich. Zugleich sollte der Experte auch sehr genau und differenziert darüber sprechen können, was er schmeckt. Ein Satz wie „Äaahrdbeere,… voll geil, Alter. … alles andere, voll Scheiße…boooooaaah“ kann auch mal ganz erfrischend wirken, würde mir auf die Dauer aber nicht reichen. Je genauer die Sprache, desto besser kann der Erdbeerexperte andere neugierig machen. Schließlich drückt er ihnen eine Erdbeere in die Hand und sagt „Das Beste ist, Du probierst mal selber!“

 

Die Lehre der zwei Wahrheiten

Die „Lehre der zwei Wahrheiten“ besagt ganz ähnlich, dass es in Bezug auf spirituelle Selbsterkenntnis zwei wichtige Dimensionen gibt:

1. das unmittelbare Erleben der absoluten, ich-transzendenten, nicht-begrifflichen, formlosen, zeit- und raumlosen, den Verstand überschreitenden Dimension

2. das Ereleben und Reflektieren der relativen, ich-immanenten, begrifflich differenzierten, formhaften, durch Zeit und Raum-Wahrnehmung gekennzeichneten, den Verstand nutzenden Dimension

BEIDE SIND WICHITG! BEIDE SIND AUSDRUCK DES EINEN SEINS! (Man kann es gar nicht groß genug schreiben!)

Eine von beiden Dimensionen überzubetonen oder eine von beiden zu vernachlässigen, erzeugt ein dualistisches Verständnis und leidvolles Erleben von Wirklichkeit.

 

zeitlos – formlos – reglos - endlos -  ichlos - eigenschaftslos

Wenden wir uns beiden Dimensionen noch mal genauer zu. Die absolute Seinsdimension eröffnet sich uns spontan oder auch durch tiefgreifende spirituelle Praxis. Ihre Erfahrung liegt in der Tiefe vor jeder Begrifflichkeit. Hier braucht und gibt es nichts anderes als das eine Bewusstsein (oder wie Du – Alfred - lieber sagst die "Bewusstheit" / Die Begrifflichkeiten varieren hier ja sowieso, je nach „Tradition“ in der man sich ausdrückt). Hier gibt es nichts zu verändern, kein "weiter" und auch kein "mehr". Hier ist auch kein "weiteres Erwachen" oder "tieferes Erforschen" notwendig oder von Bedeutung. Man könnte tatsächlich sagen, hier wird das Relative völlig irrerelevant. Da stimme ich Deiner Sichtweise – Alfred - durchaus zu. Mein Blog-Beitrag hatte auch keinesfalls die Absicht, den Wert solcher Einsichten zu schmälern oder ein Druck des "Weiter-Treibens" nach mehr Erwachenserfahrungen zu produzieren.

Wenn solche Momente der KLAHRHEIT über das Absolute auftauchen, können wir uns erlauben, sie rückhaltlos zu genießen. Wunderbar! Hier spüren wir die Vollkommenheit allen Seins schon in diesem Moment - egal was unser Verstand zuvor als unvollkommen deklariert hat.

 

Einfachheit der unmittelbaren Erfahrung

Um zu der unmittelbaren Erfahrung dieser absoluten Dimension einzuladen sind oft einfache Begriffe am wirksamsten Begriffe: Sein. Stille. Selbst (im transpersonalen Sinn). Gewahrsein. Quelle. Urgrund. Buddha-Natur. Tao. Solche Worte können als Fingerzeige auf diese nicht-begriffliche Wahrheit dienen. Manchmal – vor allem wenn sie von Menschen verwendet, die eine direkte Erfahrung des Absoluten gemacht haben – tragen diese Worte die Kraft in sich, über sich selbst hinaus auf das unmittelbare Erleben des SEINS hinzuweisen. Auch einfache und kraftvolle Kontemplation, im Sinne einer auf direkte Erfahrung ausgerichteten Reflektion, können zur direkten Erfahrung der absoluten Seinsebene führen.  Klassisch sind hier Selbst- Erforschungsfragen, wie die von Sri Ramana Maharshi: "Wer oder was bin ich?" oder "Was ist immer da?“ Auch die die Ermutigung von Sri Nisargadatta beim ICH BIN zu bleiben, anstatt sich in den vielen Identifizierungsgedanken "Ich bin… dieses oder jenes" zu verlieren. Solche Fragen beginnen zunächst auf der mentalen Ebene (denn jede Frage oder Aufforderung ist zunächst nur ein Gedanke). Doch ist bei einem Menschen eine gewisse spirituelle Reife vorhanden, geht die Frage tiefer und bewirkt eine Umorientierung der Aufmerksamkeit. Sie führt von den gewohnten Erfahrungs-Objekten wie Gedanken, Empfindungen und Gefühlen weg und hin zu dem Urgrund transpersonalen Gewahrseins.

Auch andere spirituellen Traditionen zielen manchmal auf die direkte Erfahrung von nicht-begrifflicher innerer Stille. Die vom gewohnheitsmäßigen Verstandesdenken nicht zu lösenden buddhistischen Zen-Koans, lassen unser gewohntes Denken kollabieren und in befreiende Stille sinken. Die Ermunterung zum Anfänger-Geist bzw. zum Einlassen auf das Nicht-Wissen, stellen weitere direkte Zugänge da. Sie laden uns dazu ein die Enge unseres vermeintlichen Wissens zurückzulassen und die Intelligenz formlosen, reinen Gewahrseins durchscheinen zu lassen. Die taostische Mystik ermuntert mit ihrer Haltung des WuWei ( des Nicht-Tuns oder Nicht-Einmischen) die Aspekt des Absoluten zu entdecken, die sich auf das Thema „Handeln“ beziehen. Hier können wir erfahren, das alles Geschen „von alleine geschieht“ oder quasi aus dem Absoluten heraus kommt. Das Konzept eines eigenmächtig handelnden Ichs ist von einem absoluten Standpunkt aus  pure Illusion. Und natürlich verweist uns auch die christliche Mystik oft sehr direkt auf das Absolute. Wenn Jesus z.B. sagt „Bevor Abraham bin Ich" und "Das Himmelreich ist inwendig in Euch" spricht er damit die zugleich zeitlose und jederzeit zugängliche Gegenwart des Göttlichen an.

 

Segen und Fluch der absoluten Betonung

Die Ausrichtung auf und die Betonung der unmittelbaren Erfahrung des Absoluten können sehr heilsam wirken. Sie erlauben eine radikale  Abwendung von unseren Verstrickungen im Relativen. Sie ermöglichen eine wichtige De-Identifikation von eingeschränkten persönlichen Identifikationsmustern. Sie machen die zeitlose und allgegenwärtige Qualität des Seinsgrundes bewusst. Sie führen zur Erkenntnis unseres wahren Selbst das vollkommen losgelöst von allen persönlichen Identitäten als reglose und unangetastete Stille besteht. Zugleich entlastet eine solche Perspektive von destruktiven Schuldgefühlen, die aus der Idee eines eigenverantwortlichen Ichs, das moralische Verfehlungen begehen könnte, entstehen.

Bei manchen Lehren  und Lehrern kommt es allerdings auch zu einer pathologischen Überbetonung der absoluten Seinsebene. Anstatt den Wert des Absoluten zu schätzen UND alles Relative als Ausstrahlung des absoluten Urgrundes zu erkennen, wird die Welt der relativen Erscheinungen  abgespalten und abgewertet. In diesem Fall kippt die gesunde De-Identifikation von der persönliche Identität in eine pathologische Dissoziation derselben. Die noch in der Person stattfindenden psychodynamischen Prozesse werden als bloße Erscheinungen relativiert und nicht aufrichtig angeschaut. Schattenanteile wie persönlicher Minderwert, Todesangst oder Zorn werden ausgeblendet. Zugleich werden sie unbewusst ausagiert und führen zu  Überheblichkeit, Kaltherzigkeit oder gar missbräuchlichem Verhalten.

 

Spiritueller Verleugnung – Subtiler Dualismus – Arroganz des Absoluten – Dumpfe Anti-Intellektualität

Häufig findet man bei der Überbetonung des Absoluten auch eine Art „Anti-Intellektualität“. Die Aktivität des Verstandes wird nicht transzendiert UND integriert, sondern transzendiert und abgespalten. Dann werden die Errungenschaften des Denkens und die Möglichkeiten eines differenzierten Verstehens vielleicht als „bloßes Geschwafel“ abgetan, anstatt das Paradox von Nicht-Wissen und Weisheit, von nicht-begrifflicher Stille und differenzierter Benutzung von Begrifflichkeiten für eine sich stetig weitende Weisheit zu nutzen.

Eine Überbetonung der absoluten Seinsdimension ist dann keinewegs Ausdruck non-dualer Erkenntnis, sondern erzeugt eine neue Dualität zwischen Absolutem und Relativem, zwischen Seinsgrund und Erscheinungswelt, zwischen regloser Stille und bewegtem Geist.

In unserem Vortrag auf dem „Berlin Kongress Forum Erleuchtung“ 2012 sprachen meine Partnerin Padma Wolff und ich über diese "Advaita-Falle“, deren Auswirkungen wir dort als „spirituelle Verleugnung“,  „Arroganz des Absoluten" und „Subtiler Dualismus" betitelten. Von diesem Vortrag gibt es eine Videoaufzeichnung auf Youtube.

 

Die relative Ebene vollständig umarmen

Die Lösung für diese pathologische Ausuferung des Absoluten besteht in einer allumfassenden Umarmung der relativen Seinsebene.

Die relative Ebene zeichnet sich durch die Wahrnehmung von Formen und komplexen  Unterschieden aus. Diese Vielfältigkeit trägt ihre eigene Schönheit in sich. Hier gibt es ein Ich und ein Du, ein dies und das, ein mehr und ein weniger, Zukunft und Vergangenheit, Entwicklung in der Zeit, eine Möglichkeit aktiven Tuns. Aus der absoluten Perspektive vermitteln sich alle Erfahrungselemente der relativen Ebene durch die Begrifflichkeiten unseres Verstandes. Und das ist wahr! Deshalb ist – absolut gesehen - jede relative Erscheinung bedeutungslos und nichtig, eben weil die Qualität jedes Begriffes letztendlich leer und substanzlos ist.

Zugleich hat die Welt der Begrifflichkeiten eine ungeheure Bedeutung und ist enorm wichtig. Denn sobald wir aus der Versenkung der unmittelbaren Erfahrung des Absoluten auftauchen und auch nur ein Wort über die Eigenschaften unsere Erfahrung (oder besser über die Eigenschaftslosigkeit unser Nicht-Erfahrung) denken oder hauchen wollen, bewegt sich unser Geist in die Welt des Relativen. Dann sind wir gezwungen Begriffe zu benutzen. Und hier wird es verdammt wichtig, mit welcher Klarheit wir das tun. Denn die Deutungen, die uns die begriffliche Reflektion der Wirklichkeit und auch von ihrer spirituellen Dimension eröffnen, unterscheiden sich massiv. Hier gibt es massive Unterschiede zwischen engen, begrenzten oder gar widersinnigen und weiten, umfassenden und schlüssigen Deutungen. Hier gibt es Deutungen und Perspektiven, die wir eher den archaischen, magisch, mythischen Zeiten unserer Menschheitsgeschichte zurechnen müssen oder den aufgeklärten, rationalen, integralen oder gar trans-rationalen Evolutionsstufen zuschreiben dürfen. (und natürlich gibt es hier eine Menge weiterer Zwischenstufen -> siehe Integrales Modell).

Das Totschlag-Argument „Man kann über Wahrheit sowieso nicht sprechen oder sie gar verstehen“ ist auf der relativen Ebene eher ein Ausdruck von dumpfer Anti-Intellektualität, als eines offenen und forschenden Geistes, der sowohl seinen nicht-begrifflichen Urgrund kennt, als auch die Herausforderung annimmt, sich in der relativen Welt möglichst klar und umfassend das Abenteuer sich stetig weitenden spiritueller Selbst- und Welt-Erkenntnis einzulassen.

 

Klares Sprechen über das Unsagbare

Noch einmal in anderen Worten: Auch "nach" tiefen Einblicken in das Absolute, taucht das Erleben der relativen Welt, mit ihren Formen, Begrifflichkeiten und menschlichen Aspekten auf. Und hier gibt es - meiner Erfahrung nach - sehr wohl ein großes Potential von Weitung, Vertiefung und vertieftem oder erweitertem Erwachen. In mir selbst und bei anderen habe ich oft beobachtet, wie Einblicke in die KLARHEIT DES EINEN SEINS, schnell wieder zum Konzept gemacht wurden. Dann scheinen es Erfahrungen zu sein , die in der Vergangenheit gemacht wurde und an die wir uns bloß noch erinnern und die dann noch in mentalen Worthülsen (z.B. Advaita-Floskeln wie „Es gibt kein Ich“) wiederholt werden, anstatt DAS aus dem Moment heraus vollkommen frisch zu erfahren.

Nicht selten werden solche Konzepte dann benutzt, um sich in menschlicher Begegnung vor Unsicherheit und Schmerz abzusichern oder sich über menschliche Aspekte existentiellen Leidens zu stellen. Die Arroganz und Weltfremdheit, die sich daraus ergeben, würde ich dann nicht mehr "erwacht" oder "erleuchtet" nennen mögen, sondern „im Absoluten eingeschlafen“. Auf der relativen Ebene ist Aufrichtigkeit und die Bereitwilligkeit zur klaren Selbstreflexion der immer noch im Leiden gefangenen Persönlichkeitsanteile - gerade der Anteile, mit denen wir unser "Erwachen" konzeptuell missbrauchen – unbedingt erforderlich! Von hier aus ist eine Aussage wie "es braucht keine Weiterentwicklung" eher eine Verwechslung der absoluten mit der relativen Perspektive und nicht selten ein "Festhalten am Absoluten".

Kein anderes System, wie das von Wilber, zeigt diese spirituellen Fallen und Stolpersteine so klar auf. Aber man muss sich natürlich intensiv damit beschäftigen, damit man seine Aussagekraft nachvollziehen kann.

Du – Alfred - hast Deinen Eindruck von Wilber ja geschildert. Meiner ist ein anderer: Wilbers eigene Einblicke in das Absolute sind durchaus tief und "zufriedenstellend". (Für die Leser, die diese Seite von Wilber interessiert, habe ich in einem Forumsbeitrag Auszüge eines hervorragenden Artikels  im Online-Magazin "integral informiert" aufgeführt. Hier wird klar, welche tiefen Einblicke und welche Klarheit Wilber in Bezug auf die absolute Ebene hat.)

Mein Eindruck ist nicht, dass Wilber aus einer Mangelmotivation sein System aufstellt, sondern eher aus der (Fülle-) Motivation, auf der begrifflichen Ebene eine möglichst klare Sprache über Spiritualität zu ermöglichen, die die Falle einer simplifizierenden Relativ-Absolut-Einseitigkeit aufzeigt.

Es mag sein, dass Wilbers System und Haltung dann manchmal wieder zu sehr in die Betonung einer eher anstrengenden Weiterentwicklung auf der relativen Ebene und überhöhten Idealen des Erwachens kippt. Zu Zeiten habe ich durchaus auch so einen Eindruck. Da kann ich die Ansätze Deiner Kritik, Alfred, durchaus nachvollziehen. Auf der anderen Seite gibt es mittlerweile viele "Lehrer" und "Lehren" die "Weiterentwicklung" zu früh abhaken und sich mit Krumen von Klarheit des Absoluten begnügen, während noch Festmähler des Geschmacks des Absolutem im Relativen auf sie warten würden.

 

Paradox ist spannend

Wie gesagt, das Paradoxe nebeneinander von Relativem und Absolutem, Nicht-Tun und Tun, Hingabe und Entschlossenheit, Nicht-Wissen und glasklarem begrifflichem Verstehen ist für mich ein wunderbares Koan. Hier eröffnet sich mir eine Meta-Absolutheit, welche sowohl alle relativen, als auch die absolute Perspektive einschließt und von einer höheren Warte aus betrachten kann. Nur eine einzige Antwort auf die Frage "Was ist Wahrheit?" parat zu haben, ist doch ein bisschen langweilig oder?

Oder aber wir lassen die Konzepte "relativ" und "absolut", "Weitung", "Klarheit", "Erwachen", "Bewusstsein" und "Bewusstheit" alle restlos fallen. Dann landen wir in der spannenden Stille unfassbarer Leere, die wir vermutlich alle lieben. Ja, hier ist alles vollkommen! Aber wieso sollte es nicht noch vollkommener kommen?! Ich würde sagen: Es gibt immer mehr Klarheit zu entdecken, gerade wenn wir aufhören klarer werden zu wollen. 

Torsten Brügge, Hamburg 5.9.2013

            

 

 

 

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Der folgende Text von Astronaut Sultan Ben Salman Al-Saud aus Saudi-Arabien inspirierte mich, ihn fortzusetzen.

„Am ersten Tag deutete jeder auf sein Land. Am dritten oder vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab dem fünften Tag achteten wir auch nicht mehr auf die Kontinente. Wir sahen nur noch die Erde als den einen, ganzen Planeten.“

Fortsetzung:

„Der sechste Tag brach an. Wir sahen unsere Erde im taumelnden Tanz mit den Planeten um unsere Sonne kreisen. An Tag Nummer Sieben verließen wir unser Sonnensystem. „Sieh nur“, sagte einer, „die anderen Sonnen und deren Planeten!“ Jemand erwiderte: „Und die unendlichen Weiten dazwischen!“ Am Morgen des 8. Tages staunten wir über Milliarden Sonnensysteme um uns herum. Wie ein Meer von leuchtenden Nadelspitzen schoben sie sich in einer Spirale um das Zentrum der Galaxie. Am Abend des achten Tages verblasste das einzigartige Bild unserer Milchstraße im Aufleuchten Milliarden anderer strahlender Sternenhaufen. Wir verloren den Blick dafür, von welchem der Lichtpunkte wir abgereist waren. Wir vergaßen die Ortsbestimmung unseres Sonnensystems. Wie war noch der Name unseres Heimat-Planeten? Es war gleichgültig. Nur noch die Weite zog uns in den Bann. Einer flüsterte: „Der Raum, der unendliche Raum...“ Alle schwiegen. Jeder wusste wortlos: Wir sind das Alles und das Nichts in dem es auftaucht.“

Torsten Brügge, Planet Erde, Sternzeit: 65309800B98-20082013

Galaxy - Wir sind Alles und Nichts

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Morgen früh beginnt in Berlin das 3-Tages-Event »Forum Erleuchtung«, auf dem sich etwa 35 aufgewachte spirituelle Lehrer vor Publikum treffen, wie es dort auf der Webseite heißt. Ich kenne die Veranstalter ein bisschen – soweit sehr sympathische Menschen – und viele der dort auftretenden spirituellen Lehrer, und ich schätze die Demontage des Erleuchtung-Begriffs, die dort betrieben wird. Auch scheint mir szeneweit ein gewisser Demokratisierungsprozess des einst so elitären Status der Erleuchtung bzw. des Erwachtseins im Gange zu sein, den dieses Forum fördert: Erleuchtung für alle!

 

»Die Erleuchtungsfalle«

Solche Demontagen des Erleuchtungsbegriffs gibt es seit es diesen Begriff und die damit verbundenen Mythen gibt. Das Buch »Die Erleuchtungsfalle« von Klaus-Peter Horn, das ich Mitte der 90er Jahre herausgegeben habe, knüpfte daran an, in damals noch nur für sehr wenige verständlicher Weise. Heute ist das anders. Nicht nur streben heute viel mehr Menschen nach Erleuchtung und Erwachen, es erwachen auch immer mehr aus diesem Streben. Das Buch »Erleuchtung – Phänomen und Mythos«, das vom Forum Erleuchtung 2012 herausgegeben wurde, stellt die heutige Haltung dieses Forums zu diesem Thema recht gut dar. Katharina Ceming hat es in unserer Zeitschrift Connection Spirit sehr positiv rezenziert.

 

Die Folgen des »Aufwachens« 

Auf der Leitseite von Forum Erleuchtung heißt es nun: »Wir leben in einer Zeit, in der viele aufgewachte Menschen, obwohl sie mit den Mustern bereits nicht mehr identifiziert sind, mehr oder weniger stark eine individuelle Perspektive einnehmen. Es zeigt sich also: Aufwachen allein reicht nicht aus. Gleichzeitig sollte auch die individuelle Perspektive aufgegeben werden. Aufwachen löst zwar die Identifikation mit den Mustern – jedoch nicht das Ego selbst.

Die finale Auflösung der Ichhaftigkeit 'gelingt' nur über eine radikale Herzensöffnung bei gleichzeitiger Aufgabe der individuellen Perspektive. Ansonsten fällt das aufgewachte Sein wieder zurück – pendelt zwischen kontemplativer Klarheit und alltäglicher Nicht-Identifikation mit dem Ego (bis hin zur Verleugnung des Egos) hin und her.«

 

Der Wert der individuellen Perspektive

Hier kommen nun einige neue Mythen ins Spiel. Über die »radikale Herzensöffnung« vielleicht ein ander Mal. Diesmal möchte ich die Idee aufgreifen, dass »die individuelle Perspektive« ein Gegner der Erleuchtung / des Erwachtseins sei – und dementsprechend zu überwinden. Ist sie aber nicht. Jeder Mensch hat eine individuelle Perspektive und schaut von dort auf die Welt, zumindest jeder Erwachsene, psychisch Gesunde der Neuzeit und umso mehr des 21. Jahrhunderts. Bitte, bitte, bitte das nicht überwinden wollen!!! Sonst landen wir wieder in der Selbstverleugnung, dem Selbstbetrug und vergeuden unsere Energie mit Schattenbekämpftung, denn wir haben ja eine individuelle Perspektive! 

Mal abgesehen davon, dass bei einem Aufgeben der individuellen Perspektiven von fünf Milliarden jugendlicher oder erwachsener, nicht-dementer Erdbewohner die Errungenschaften der modernen Demokratie und des Wahlrechts im Ausguss landen würden, mit der Gefahr der Rückkehr in die Zeiten der kollektiven Hypnosen.

 

»Finale Auflösung der Ichhaftigkeit«?

Und was die »finale Auflösung der Ichhaftigkeit« anbelangt, die da gefordert wird, dabei gruselts mich. Endlösungen sind mir seit je suspekt, und das gilt auch für die Endlösung der Ego-Frage. Das Ego-Bashing ist eine der Schattenseiten des Erleuchtungskultes. Die individuelle Perspektive, die Ichhaftigkeit, das Ego »wegdenken« zu wollen, führt zu all diesen Schattendramen, wie wir sie zur Genüge aus den diversen spirituellen Szenen kennen. Der kürzlich von seinem Posten als spiritueller Lehrer zurückgetretene Andrew Cohen weiß davon sicherlich inzwischen einges zu erzählen, ebenso wie die Satsanglehrerin Charya, deren Geschichte auf connection.de seit Jahren eine der am meisten angeklickten Berichte ist. 

 

Nicht bloß Gottes Augen

Erst wenn das Aufwachen auch die volle Akzeptanz der individuellen Perspektive, der Ichhaftigkeit, der Person und Persona, des Individuums und persönlichen Charakters impliziert und den Wert von alledem – wenn endlich das Ego-Bashing aufhört – möchte ich mich in die Arme dieser Erwachten und Erleucheten werfen und mit ihnen jubeln, dass alles eins ist. Denn es ist alles eins! Aber nicht ein Brei. Die Unterschiede sind genauso wichtig wie das Gemeinsame. Und jeder von uns schaut durch zwei Augen auf die Welt, die nicht bloß Gottes Augen sind, sondern auch seine individuellen, einzigartigen Augen – und das ist gut so!

 
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Manche Begriffe haben die Kraft, als frische Fingerzeige auf die nicht-begriffliche Wahrheit unseres innersten Wesens zu deuten: SEIN, STILLE, GEWAHRSEIN, GEIST, TAO, BUDDHA-NATUR, GÖTTLICHER URGRUND…

Für mich galt das eine Zeit lang auch für den Begriff "ERWACHEN". Erwachen wir aus einem schlechten Traum zum Wachbewusstsein, ist das eine Befreiung. Wir erkennen, dass alles, was im Traum geschah, unwirklich war. Das Drama und Leiden des Traumes ist zu Ende. Uns wird klar, dass uns das leidvolle Traumgeschehen in Wahrheit nie berührt hat.

Ganz ähnlich können wir vom Leiden der Identifikation mit einem begrenzten persönlichen Ich und dessen schwankender Lebensgeschichte von Schmerz und Vergnügen zu der Weite und Reglosigkeit unseres wahren Selbst erwachen. In dieser Hinsicht macht "Erwachen" für mich immer noch Sinn.

Auf eine andere Weise scheint der Begriff "Erwachen" mehr und mehr konzeptualisiert und korrumpiert zu werden - vor allem dann, wenn er als die Eigenschaft einer Person interpretiert wird. "Hast Du schon gehört? Person X ist erwacht." "Nein, der ist doch noch nicht erwacht. Person Y vielleicht schon, aber X, nee." Oder wir beziehen ihn auf uns selbst "Oh nein, ich bin immer noch nicht erwacht." oder "Ah, weil ich jetzt diesen Einblick in Stille, Ewigkeit und Ich-Losigkeit gehabt habe, bin ich erwacht. Nun gehöre ich endlich zur Gruppe der 'Erwachten'."

Verstehen wir "erwacht" als eine eindimensionale Eigenschaft einer Person, ergeben sich daraus spirituelle Missverständnisse und Verzerrungen. Entweder wir verfallen in Minderwertigkeitsgefühle, weil wir uns nicht erwacht fühlen und machen uns "Erwachens"-Druck, der unser Leiden noch verstärkt. Oder wir überhöhen uns selbst. Wir glauben vielleicht, nur weil wir erste Einblicke in die  Wahrheit unseres Selbst erhascht haben, bedeuten dies, dass alles, was wir sagen und tun, nun Ausdruck reiner erwachter Wahrheit wäre. Daraus kann sich eine Arroganz entwickeln, in der wir eher wieder einschlafen, als endlos weiter zu erwachen.

Ich möchte an dieser Stelle vorschlagen, die Zuschreibung der persönlichen Eigenschaft "erwacht" vollkommen fallen zu lassen. Das entspricht tatsächlich der inneren Stille, die wir unmittelbar Erfahren, wenn die Lebendigkeit des Erwachens durchscheint. Hier brauchen wir keine  Definition unserer selbst. Gedanke wie "Ich bin unerwacht" oder "Ich bin erwacht" sind schlicht abwesend oder (ver)klingen als kosmischer Witz.

Und dennoch gibt es die Neigung, nach solchen Einblicken, sich selbst wieder mit Definitionen des "Bin ich erwacht?" kritisch abzufragen oder zu brüsten - beides meist auf ein höchst simplifizierende Weise. Wie wäre es, das sein zu lassen? Wie wäre es, wenn wir uns die Frage "Bin ich erwacht oder nicht-erwacht?" so nie wieder stellen müssten? Wie wäre  es, wenn wir nie wieder mit der Frage "Ist der oder die Person nun erwacht oder nicht?" auf Andere schauen würden?

Auf "erwacht / nicht-erwacht" als eine vereinfachende Mono-Eigenschaft zu verzichten, bedeutet nicht, dass wir Alles gleichermaßen - und wiederum simplifizierend - als "gleich erwacht oder gleich unerwacht" betrachten müssten. Es gibt tatsächlich massive Unterschiede zwischen erwachten und unerwachten Perspektiven und Erlebensweisen. Wir könnten aber für die Ebene, auf der wir differenziert über Erwachen und Erleuchtung sprechen wollen, eine andere. sinnvollere Betrachtungsweise wählen. Zum Beispiel diejenige von "erwachten Anteilen" oder "durchleuchteten Anteilen" und "unerwachten Anteilen " oder "verschleierten Anteilen" unserer Person.

Wenn wir Erwachen oder Erleuchtung als das klare Hindurch-Leuchten des Absoluten durch die - oft verschleiernden - Schichten der relativen Erscheinungswelt beschreiben, dann könnte man sagen: Durch manche  Menschen, in manchen Bereichen scheint die absolute Ebene klarerer hindurch, als durch andere Menschen, in anderen Bereichen. In diesem Sinn erleben wir - neben der absoluten Erfahrung, dass wir alle schon immer das eine SEIN sind - sowohl erwachte als auch unerwachte Anteile. In den erwachten Anteilen strahlt die Klarheit des Absoluten auf verschiedene Weise durch uns als Person. In den unerwachten Anteilen ist dieses Strahlen verschleiert oder nicht vorhanden. In einer einzigen Person und deren Leben kann es dann sowohl erwachte als auch unerwachte Anteile geben. An ersteren können wir uns erfreuen und sie strahlen lassen. Letztere könnten wir aufrichtig eingestehen und  als Herausforderungen betrachten, auch hier noch mehr Licht des Erwachens durchleuchten zu lassen.

"Erwachen" oder "Erwacht-Sein" wäre dann keine festgeschrieben Eigenschaft einer Person, sondern das Funkeln eines facettenreichen Strahlens des unpersönlichen Wachseins durch Anteile unserer Person und ihres Lebens. Das entspricht übrigens auch modernen Ansätzen der Psychologie. Sie gehen statt von einem  einheitlichem Ich eher von einer Vielzahl von Ich-Anteilen aus, die wir alle in uns tragen und die unterschiedlich weit entwickelt sein können. Ob man diese nun „innere Stimmen“, „Teilpersönlichkeiten“ oder "Ego-States" (obwohl es korrekter eigentlich "Ego-Aspects" heißen sollte)  nennt, das Prinzip bleibt das gleiche. (siehe dazu auch den Artikel "Die Struktur desr Psyche" von Oliver Bartsch / http://www.connection.de/index.php/gesundheit-heilung/1761-die-struktur-der-psyche )

Wenn wir Erleuchtung als Befreiung aus dem Leiden von begrenzten Ich-Konzepten und als Erwachen zu einer transzendenten Seinsebene verstehen, könnten sich „Ego-Aspects“ diesbezüglich in „True-Self-Aspects“ verwandeln. Das wären dann  die individuellen und zugleich überpersönlichen Ausstrahlungen  unseres transpersonalen Wesenskernes,  durch die Facetten unserer Person und deren Anteile hindurch. So wie das Licht eines Diamanten zugleich farblos, aber durch jede seiner Facetten wiederum in einzigartigen Farbschattierungen leuchtet.

Diamant

 

Eine Art sich der Multidimensionalität von Erleuchtung konkreter zu nähern habe ich schon in meinem Artikel in der Connection Ausgabe Mai/Juni 2013 mit dem Thema "Erleuchtung ganz oder garnicht - Erwachen aus der Perspektive des Integralen Modells und das Konzept der Entwicklungslinien" beschrieben. Hier schildere ich, wie man eine differenzierte Betrachtung von Erwachen/Erleuchtung anhand der Entwicklungslinien nach dem Integralen Modell von Ken Wilber anstellen kann.

Das Integrale Modell hält noch weitere Betrachtungen dieses Themas parat, die ich hier nur andeuten will und auf die ich genauer in vielleicht in weiteren Blogbeiträgen eingehen werde: Wilber spricht von den "drei S" der Erleuchtungsentfaltung und meint damit "States, Stages, Shadow" (deutsch: Zustände, Stufen, Schatten)

Mit "States" sind  Bewusstseinszustände gemeint. Hier hat Erleuchtung etwas damit zu tun, ob wir die dualistische Wahrnehmung eines getrennten Ichs überschreiten und  die Einheit allen Seins sowohl in grobstofflichen, feinstofflichen, kausalen (im Sinne eines kausalen ewigen Urgrundes), als auch nondualen Qualitäten erleben können.

Mit "Stages" (Stufen oder Ebenen) bezeichnet Wilber strukturelle, aufeinanderfolgende Ebenen der evolutionären Bewusstseinsentwicklung (grob: archaisch, magisch, mythisch, rational, pluralistisch, integral, superintegral), die wir sowohl individuell als auch kollektiv durchlaufen. Vereinfachend gesagt beschreiben diese Ebenen die Weite unserer Wahrnehmung und Interpretationsmuster mit der wir jeweils die Welt und unsere eigenen Erfahrungen deuten. Hier bedeutet Erleuchtung, die Fähigkeit umfassende Perspektiven einnehmen zu können,  welche prärationale und rationale Sichtweisen transzendieren, sie aber zugleich integrieren. (In diesem Zusammenhang hat der Begriff „Erleuchtung“ (im Englischen „enlightenment“) eher eine Nähe zu dem deutschen Begriff „Aufklärung“ (im Englischen ebenfalls „enlightenment“. Es handelt sich also um eine aufgeklärte Weltsicht, die dem aktuellen Stand der am weitesten entwickelten menschlichen Perspektiven und reflektierten Einsichten entspricht)

Das dritte „S“ (Shadow = Schatten)  hat mit der Psychodynamik des Schattens zu tun. Hier weist Wilber daraufhin, dass neben der Transzendierung der personalen Ebenen auch  die Integration verdrängter Schattenanteil der Person (auch von der rationalen und prärationalen Ebene) und ein sich daraus ergebendes authentisches Ich-Gefühl erforderlich ist, damit spirituelle Entwicklung auch mit psychischer Gesundheit und menschlicher persönlicher Reife einhergeht.

Nach Wilber braucht es in allen drei Bereichen ein erwachtes Bewusstsein, damit man von einer umfassenden Erleuchtung sprechen kann.

Diese Aspekte sind komplex. Sie bedürfen einer intensive  philosophischen Reflektionen und großer Aufrichtigkeit in Bezug auf die eigene Reife. Dabei tut es gut,unseren Geist immer wieder in den kühlen Wassern direkt erlebter Stille eintauchen zu lassen. Hier brauchen wir rein gar nichts zu wissen oder zu reflektieren. Hier erfahren wir uns als das absolute Gewahrsein, das sich ohne jeden Begriff als jenseits jeder Eigenschaft weiß.

Doch um in der Welt der Formen, Begrifflichkeiten und relativen Erscheinungen halbwegs klar über Erwachen sprechen zu können, reicht die simple Dualität "erwacht/ nicht erwacht" bei Weitem nicht aus. Hier brauchen wir ein breites und differenziertes Verständnis. Der integrale Ansatz zeigt viele Aspekte davon auf.

 Torsten Brügge, Hamburg 2013

 

 

 

 

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ein Austausch von Wolf Schneider und Torsten Brügge

Auf meinen vorherigen Blogbeitrag gab es von Wolf Schneider einen interessanten Kommentar, der neben Übereinstimmung auch einen sehr wichtigen Kritik-Punkt enthielt. Ich antwortete Wolf darauf zunächst in einer Email, worauf hin er mich dazu anregte, den kleinen Dialog zwischen uns in einem neuen Blogbeitrag einzustellen. Denn hierbei handelt es sich um die Eröffnung eines eigenständiges Thema, das viele Leser interessieren könnte.

 

Zunächst also noch mal der Kommentar von Wolf und dann die Antwort darauf von mir:

 

Lieber Torsten,

 

danke für diese gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema Spiritualität und Wirtschaft! Das beschäftigt mich, wie du weißt, seit langem. Hier speziell: Advaita und unser Geldsystem. 90 Prozent Zustimmung zu allem, was du hier schreibst. Trotzdem ein Kritikpunkt, auch auf die Gefahr hin, dass ich damit als kleinlich erscheine, aber es ist m.E. ein wichtiger Punkt.

 

Du schreibst: »Die verdunkelnden Geisteskräfte unserer Identifikation mit einer Person können durchschaut und die Wahrheit dahinter kann wieder entdeckt werden.« Mit dieser zentralen Behauptung des Advaita bin ich nicht mehr einverstanden, obwohl ich das viele, viele Jahre lang war. Ob das ein Rückfall in den Herrschaftsbereich des Ego oder ein Fortschritt an Erkenntnis ist? Jedenfalls glaube ich inzwischen, dass die Identifikation mit einer Person etwas sehr Wertvolles ist und keine Verdunkelung des Geistes. Wir sollten diese Identifikation schätzen und würdigen, sie ist eine unabdingbare Voraussetzung für unsere psychische Gesundheit. Und: Es gibt noch viel mehr als diese Identifikation mit nur einer Person. Wir können uns mit noch anderem identifizieren, mit anderen Menschen und Gruppen von Menschen, mit Dingen, Projekten, Überzeugungen, Werten – letztlich mit allem, mit dem »Großen Ganzen«: Das ist dann die mystische Erfahrung. Aber vorher gibt es die Person. Die bitte nicht über Bord werden – und auch, sie als "dunkel" zu bezeichnen finde ich nicht nur richtig, sondern sogar gefährlich.

 

Liebe Grüße

 

Wolf

 

Antwort von mir:

 

Lieber Wolf,

danke für Deine Mail, die Wertschätzung und die Kritik.
Was Du ansprichst ist ein sehr guter Punkt und ich stimme Dir da quasi voll zu, bzw. führe unten auf, wie ich es genau sehe. Vermutlich hast Du mich da auch bei einer "alten Advaita-Einseitigkeit" "erwischt", die ich eigentlich jetzt auch anders sehe, aber vielleicht in meinem Sprachgebrauch doch noch nachklingt.

Um es in Kürze anzureißen:

Tatsächlich ist die Identifikation mit einer individuellen Person ein wichtiger Entwicklungsschritt in der menschlichen Entwicklung und von großem Wert. Diese Tatsache beschreibt das Integrale Modell von Wilber wieder mal sehr schön. Hier liegt die Identifikation mit einer Person auf der personal/rationalen Ebene. Sie hat mehr Reife und Weite als die prärationale/präpersonale Ebene. Denn auf der personalen Ebene erhebt sich die Person zu einer individuellen Vielfalt und Eigenart, die sich aus den Regel- und Rollenmodellen der prärationalen Eingebundenheit in eine vorgegebene Gruppenzugehörigkeit löst. Dazu ein Bespiel: Der Sohn eines katholischen Bauern, der schon in der sechsten Generation den Hof übernehmen soll, aber eigentlich andere Impulse verspürt, bricht aus der Tradition aus. Er sagt: "Ich bin eine Person mit ganz eigenen Fähigkeiten und Wünschen. Ich werde nicht den Hof meiner Eltern übernehmen. Ich bin Künstler, werde in die Großstadt ziehen und auf den Gottesdienst jeden Sonntag verzichte ich auch." Diese Identifikation mit einem individuellen, persönlichen Dasein ist Ausdruck einer erweiterten Freiheit. Das ist in diesem Sinne keine Verdunkelung, sondern tatsächlich eine wunderbare Erhellung und Befreiung aus alten Mustern.
Dennoch ist nach Wilber (und den spirituellen Traditionen) diese Freiheit nur eine relative, zumindest dann, wenn es bei der "begrenzten" Identifikation mit der Person bleibt. Denn auch wenn ich mich als Individuum fühle, bin ich noch getrennt von der Ganzheit des Seins. Oft fühlen wir uns auf einer bestimmten Stufe der Individuation sogar abgetrennter als jemals zuvor, weil sich unsere Sichtweise auf existentielle Perspektiven ausdehnt,ohne dass wir schon einen Geschmack des alles verbindenden Einsseins haben. Wir sind zwar etwas „Besonderes“, aber empfinden uns damit auch abge“sondert“ und wir spüren, dass uns das „Ich bin eine Person“ nicht das tiefste Glück gibt, welches wir uns eigentlich wünschen.

 

Über die Begrenzung hinaus gibt es die Möglichkeit - wie Du schreibst -, sich mit viel "weiteren Kreisen" des Seins zu identifizieren, bzw. zu erkennen, das wir letztlich alles SEIN sind. (Ich würde dies dann eher das "Erkennen der Identität mit ALLEM" nennen, denn dies ist kein Akt des Sich-Gleich-Setzens, sondern eher ein Erkennen des Schon-Immer-Eins-Seins).
Wenn in Advaita-Kreisen oft - und manchmal einseitig - auf den leidvollen Charakter der Identifikation mit einer Person hingewiesen wird, hat das Vor- und Nachteile, bzw. entspricht nach dem Verständnis der Entwicklungsdynamik des Integralen Modells verschiedenen Phasen der Entwicklung.

 

 Nach Wilber findet Entwicklung nämlich in drei Phasen statt.


1. Differenzierung = Abtrennung von der alten (bisherigen) Ebene - das bisherige wird als unwahr und begrenzt erkannt und deshalb zunächst zurückgelassen oder "abgestoßen"

2. Identifikation mit der neuen Ebene = das neue, emergierende Bewusstsein wird als weiter und wahrer erahnt und man setzt sich ganz mit dem Neu-Erlebten gleich (sozusagen eine "Verherrlichung" der neu entdeckten Ebene)

3. Integration der alten Ebenen - die übermäßige Abtrennung von den alten Ebenen verwandelt sich von der höheren Ebene aus in ein liebevolles Umarmen und Wertschätzen der „niederen“ Ebenen, da man auch das Alte als Vorgänger oder Bereiter des Neuen erkennt - nur eben nicht mehr als die höchste, sondern als relative Wahrheit

Die Advaita-Ausrichtungen betonen eher die Differenzierung (Schritt1) von der personalen/rationalen  Ebene der persönlichen Identität (z.B. mit der Neti-Neti-Botschaft: "Ich bin nicht mein Körper... nicht meine Gefühle  .. nicht mein Denken... nicht meine Person“) und die Identifikation (Schritt 2)  mit der transpersonalen Ebene ("Ich bin das Absolute." "Ich bin das alles übersteigende, unpersönliche Bewusstsein"). Dabei wird dann manchmal die Integration der personalen/rationalen  (Schritt 3) vergessen, bzw. wird diese nahezu abgespalten. Das aber ist kein "ganzheitlich heilsamer Advaita" sondern "die kränkelnde Advaita-Krise". Diese Thematik schildere ich noch genauer  in meinem Artikel für die Zeitschrift "Integrale Perspektiven" mit dem Titel "Weisheit durch Nicht-Wissen", der im November rauskommen soll.

Hinzukommt, dass es auch auf der personalen Ebene selbst schon zu "kränkelnden Verzerrungen" kommen kann, die auf ihre Art den "Wert der Person" schmälern oder sie als "verdunkelnde Maske" wirken lassen können. Auch hier hat Wilber wieder hilfreiche Sichtweisen: Er sagt, es ist sinnvoll das "kleine Ich" auf der personalen Ebene in zwei Aspekte zu unterteilen: 1. das falsche Ich und 2. das authentische Selbst (manchmal auch als „einzigartiges Ich“ bezeichnet). Das wahre Selbst wäre dann die Tiefenschicht des unpersönlichen Seins, das die Advaitis gerne betonen.

Das falsche Ich ist dadurch gekennzeichnet, das es durch viele nicht-integrierte Schattenanteile verzerrte, verfälschte Selbst- und Fremdwahrnehmungen enthält. Das authentische Ich hat die Schattenanteile integriert und ist auf der personalen Ebene natürlicherweise heil und ganzheitlich wertvoll.

Die De-Identifzierungs-Betonung im Advaita bezieht sich - meiner Meinung nach - auf zwei Elemente.

1. Es wird geahnt, dass das Ich etwas "falsches" an sich hat, weil man die Person auch als Maske (persona=Maske) oder falsches Ich erkennt.
2. Es wird gespürt, dass es Entwicklungspotentiale zu einer erweiterten Identität gibt, die die - auf die Person begrenzte - Identität überschreitet und zum wahren Selbst führt. Vom authentischen Selbst spricht die Advaita-Tradition wenig oder gar nicht, wahrscheinlich weil sie noch nicht das Wissen der westlichen Psychologie, der Aufdeckung von personalen Strukturen und Psychodynamiken hatte.

 

Die Gefahr bei der Betonung auf die De-Identifikation vom ich liegt darin, dass wir uns manchmal de-identifzieren bevor sich das falsche Ich durch Schatten-Integration zum authentischen Ich entwickelt hat. Das hat kann die Folge haben, dass wir uns schon mit dem absoluten ICH BIN identifizieren, ohne das die erforderliche (und natürliche) Umwandlung des falschen Ichs in das authentische Selbst geschehen ist. Manchmal neigen wir dann dazu diese personale Entwicklung  nicht nachreifen lassen, weil wir  Schattenarbeit auf der personalen Ebene fälschlicherweise für unnötig erachten.

Mit der Identifikation mit dem ICH BIN ohne Nachreifung des authentischen Selbst, de-identifzieren wir uns auch vom Schatten, was der Schatten toll findet, denn so kann er überleben.  Das ist Wilbers Betrachtungsweise und auch hier fasst er etwas in Worte, was ich persönlich ;-) intuitiv erahnt hatte, wofür mir aber die Worte fehlten. Für solche Beschreibungen könnte ich Wilber dann manchmal küssen!

Für mich besteht die Lösung (also ein alles integrierender Sichtweise darin), entweder zunächst das authentische Ich zu entwickeln in dem das falsche Ich seinen Schatten integriert und "danach" die ausschließliche Identifikation mit der Person in eine erweiterte Identifikation mit Allem zu entdecken (was eben auch die De-Identifkation mit der ausschließlichen Identfikation mit einer Person einschließt (mein Gott versteht mich hier noch jemand? ;-) ). Oder aber schon "spirituell vorzustoßen", d.h. schon tiefe Erfahrungen der De-Identfikation von der Person und Einheitserfahrungen mit Allem zu kosten, dann aber unbedingt die Schattenintegration und die Entwicklung des falschen Ichs zum authenischen Selbst "nachreifen zu lassen". (Letzteres war übrigens eher meine persönliche/unpersönliche Erfahrung). Vermutlich ist spirituelle Entwicklung auch immer eine Mischung oder Gleichzeitigkeit von beidem.

Es gibt übrigens auch ein schönes Ramana-Zitat dazu (das ich aber hier nur aus einer nicht wort-wörtlichen Erinnerung zitieren kann):

Frager: "Identifiziert sich der Jnani (Erwachte) überhaupt nicht mehr mit seiner Person?"
Ramana: "Natürlich identifiziert er sich mit seiner Person. Er weiß, dass er seine Person ist, aber er weiß auch, dass er gleichzeitig alles Andere ist."

Also Danke noch mal für Deine Kritik. Ich kann mir vorstellen, dass dies viele Menschen interessiert. Und es ist gut, falls wir über „Ich“, „Selbst“ und „Identifikation“ sprechen, immer genau damit zu sein, ob wir vom falschen Ich, vom authentischen Selbst oder vom wahren Selbst sprechen, sonst wird es verwirrend.

Alles Liebe

Torsten

 

 

 

 

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Liebe Leser,

vorweg: Ich bin wahrhaftig kein Geld- und Wirtschaftsexperte und werde es wohl auch nie werden. Dennoch möchte ich mit diesem Blogeintrag dazu einladen, das Thema "Wirtschafts- und Geldsystem" aus verschiedenen (spirituellen) Perspektiven  zu beleuchten. Dies passt auch zur gerade aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Connection spirit mit dem Titel "Wachstum ohne Ende? Nein: Werde, der du bist!". Dort gibt es viele interessante Stimmen dazu. Der Entwurf für diesen Blogbeitrag, entstand aber schon früher.

Mir scheint die Beschäftigung mit  unserer aktuellen westlichen Wirtschaftsordnung, deren Dynamiken und Folgen, ein wichtiges Thema zu sein. Gerade Menschen mit einer spirituellen Ausrichtung, die die Bereitwilligkeit haben Altgewohntes zu hinterfragen, können hier neue Sichtweisen entdecken und zu einer „Aufklärung“ in diesem Bereich beitragen, die vielleicht auch Auswirkungen auf breitere gesellschaftlichen Schichten haben könnte. 

Bei dieser Hinterfragung gibt es (mindestens) zwei grundsätzliche Perspektiven: Die innere und die äußere. Erstere beschäftigt sich mit dem unmittelbaren Erleben von Glaubensmustern, Einstellung, Identitätsempfinden, Gefühlen, Motivation -  also all dem was "innerlich abgeht". Letztere befasst sich mit äußeren Faktoren: Systemen, Gesellschaftsstrukturen, Wirtschaftsordnungen, Geldsystemen, Institutionen und der Wechselwirkung all jener Elemente.

Mein Schwerpunkt in der Rolle eines spirituellen Begleiters und Lehrers liegt vor allem darin, Menschen einzuladen, sich der inneren Dynamiken ihres Erlebens bewusst werden. Aus dieser Perspektive können wir uns dem Thema "Geld und Wirtschaft" nähern und befreiende Erkenntnisse gewinnen. Unsere Beziehung zu "Geld und Wirtschaft" ist stark davon geprägt, womit wir uns identifizieren und welche Vorstellungen von Glück und Lebenszufriedenheit wir daraus ableiten. Nach den Beschreibungen spiritueller Ansätze, wie zum Beispiel dem Advaita, leben die meisten Menschen unter einer Glocke der Unbewusstheit und Verblendung. Wir haben den bewussten  Kontakt zu unserer wahren Natur verloren, weil wir uns übermäßig mit unserem Körper, unseren Gefühlen, Gedanken, sozialen Rollen, unserer Person identifizieren. 

Tatsächlich besteht unser innerster Wesenskern als regloses, friedvolles, in sich selbst erfülltes Bewusstsein. Doch durch die Verschleierung dieser Wahrheit ändert sich unser Erleben. Wir fühlen uns abgetrennt, ungenügend, unzufrieden und ängstlich. Meist versuchen wir diese leidvollen Gefühle mit psychologischen Abwehrmechanismen von uns fern zu halten. So bauen wir eine Maskenidentität auf mit der wir uns von einem authentischen menschlichen Dasein und unserem transzendenten Wesenskern entfernen.
Eine Form der Abwehr besteht darin, dass wir über unsere natürlichen menschlichen Bedürfnisse hinaus nach Ersatzbefriedigungen suchen. Materielle Sicherheit und Wohlstand versprechen uns den Reichtum und das Wohlempfinden, die unserer innersten Natur zueigen aber meist verdeckt sind, zurückzugeben. Wir suchen im Außen nach Bequemlichkeit, Vergnügen, Luxus, nach immer mehr und immer besseren Konsumobjekten. In dieser "Gier nach mehr" sind wir oft triebhaft gesteuert. Unsere Perspektive verengt sich. Wir sehen und handeln egozentrisch. Wir werden blind für die Auswirkungen, die unsere Sucht nach Ersatzbefriedigung auf uns selbst, unsere Mitmenschen und unsere Umwelt hat. Und vor allem: Wir bleiben unbefriedigt.

Zugleich werden wir von Angst getrieben. Es ist die Furcht, dass unser persönliches Leben bedroht und ausgelöscht werden könnte. Weil wir das Bewusstsein für unseren unsterblichen Wesenskern verloren haben, glauben wir an die Realität des Todes und fühlen uns durch ihn bedroht. Während uns die Gier nach vorne zieht, sitzt uns die Angst im Nacken und hetzt uns von hinten. Furcht zeigt sich konkret im übermäßigem Festhalten an vermeintlich sicheren Strukturen, in der panischen Übererregtheit und nervösen Aktivität, wenn unsere vertrauten Lebensumstände und unser vermeintlicher Besitz bedroht werden.

Die Geistesbewegungen von Gier und Angst erleben wir innerlich: Wieviel unseres Denkens dreht sich um Geld und wirtschaftlichen Wohlstand? Wie oft ist diese Aktivität von Gier angetrieben? Wie häufig glauben wir, dass das, was wir jetzt haben und erfahren, nicht genügt und begeben uns dann auf die Jagd nach mehr, nach noch mehr und noch mehr?

Und wieviel Geistesaktivität dreht sich um wirtschaftliche Angst und die vielen Versuche uns vor Verzicht, Verlust oder materieller Armut abzusichern?  Ein gewisses Maß an Beschäftigung mit Gedanken an Geld und materielle Absicherung ist natürlich. Aber in Unkenntnis des Reichtums unserer wahren Natur  nimmt das ein Übermaß an, unter dem wir und unsere Umwelt leiden. Dann fühlen wir uns im Verlangen verloren oder in der Frucht gefangen. Damit schneiden wir uns noch mehr von innerem Frieden und „innerem Wohlstand“ - im Sinne eines „Stehens im Wohlgefühl“-  ab. Das wiederum bringt uns in einen „ressourcen-armen“ Bewusstseinszustand in dem klares und ganzheitliches Wirtschaften schwer fällt.  

 Die Kräfte von "Gier" und "Angst" sind nicht nur individuell zu spüren, sondern wirken sich auch kollektiv aus. Ein Blick an die Börsen reicht aus: Die psychologischen Einflüsse von Angst und Gier haben einen enormen, wenn nicht sogar den entscheidenden Einfluss auf das Verhalten von Händlern und Investoren hat. An seiner Oberfläche scheint der Finanzmarkt von harten Fakten und logischen Entscheidungen bestimmt zu sein. Doch schauen wir nur ein wenig tiefer, sehen wir, wie sehr psychologische Verwirrung von überhöhten Hoffnungen und dramatisierten Befürchtungen, von Verlangen und Furcht die Finanz- und Wirtschaftsströme unserer Welt beeinflussen. Im Strudel dieser Kräfte ist es fast unumgänglich, dass unser Umgang mit Geld egozentrisch und destruktiv bleibt. Starren wir allein auf die maximale Rendite, den maximalen Zins, den maximalen Gewinn für unser Geld, sehen wir nicht welche Auswirkungen bestimmte Käufe und Investitionen haben. Wir erkennen nicht, dass riesige Finanzblasen entstehen, die kaum einen realwirtschaftlichen Gegenwert aufweisen. Es ist uns egal - oder bleibt zumindest unbewusst - ob unsere Kaufkraft und unsere Investitionen eher in die Ausbeutung und Schädigung von Menschen und Umwelt fließt oder Wirtschaftsbereiche unterstützt, die sich für Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Umweltschutz und ähnliche Werte engagieren. Wir laufen einfach mit in einem Wirtschafts- und Geldsystem, das vermeintliche Gegebenheiten, wie den stetigen Wachstumsdruck, die Selbstverständlichkeit von Zins und Zinseszins, das Konstrukt eines nie alternden Geldes, als selbstverständliche Wahrheiten erscheinen lässt. Wir merken, nicht wie fragwürdig, ja oft abstrus unvernünftig viele dieser Konstrukte eigentlich sind.

Ich möchte im Folgenden nicht suggerieren, dass es für all diese Problematiken einfache Lösungen gibt. Und doch bin ich der Überzeugung, dass man zumindest zwei wichtige Elemente einer möglichen Veränderung aufzeigen können. Die eine besteht in einer innerlichen Bewusstseinsentwicklung, die zunächst in jedem Individuum und dann als "Graswurzelbewegung" auch kollektive Veränderungen mit sich bringen könnte. Der zentrale Punkt besteht dabei in der Wiederentdeckung unserer wahren Natur als in sich selbst erfülltes Gewahrsein. Die verdunkelnden Geisterkräfte unsere Identifikation mit einer Person können durchschaut und die Wahrheit dahinter kann wieder entdeckt werden. Damit finden wir Zugang zu einer natürlichen, immer schon gegenwärtigen Erfahrung inneren Friedens. Die Entdeckung dieses Friedens stellt den wahren Reichtum eines menschlichen Lebens dar. Sie erfüllt und befriedigt tatsächlich. Echte innere Erfüllung ist unabhängig von Bedingungen und nicht an Objekte gebunden. Mit ihrem Erleben verschwindet die Gier nach immer mehr und immer besseren Erfahrungen. Das Verlangen nach übermäßigem Konsum löst sich auf, wir werden auf eine gesunde Weise bedürfnisloser.

Mit der Entdeckung unseres wahren Wesens jenseits der Fehl-Identifikation stellen sich auch Vertrauen und ein Gefühl tieferer Sicherheit ein. Wir transzendieren unsere menschlichen Ängste vor Verlust und Tod. Das bedeutet nicht, dass wir keinerlei Angst mehr erleben. Doch wir lassen uns von ihr, bzw. unseren Reaktionen auf sie, nicht mehr beherrschen. Stattdessen können wir die Ungewissheit und Endlichkeit unserer menschlichen Existenz mit Freude und Lebendigkeit willkommen heißen.

Diese Freiheit von Gier und Angst lässt uns innerlich und äußerlich vollkommen neue Perspektiven erkennen. Durch das Ruhen in bedingungsloser Erfüllung werden wir mutiger, sowohl unsere individuelle Beziehung zu Geld und Wirtschaft, als auch die kollektiven Glaubensmuster im Wirtschaftssystem genau unter die Lupe zu nehmen. Wir trauen uns,  auch andere Wege zu gehen als die gewöhnlichen Lebensplanungen und Wirtschaftsweisen. Wir vertrauen darauf, dass echtes Glück immer zur Verfügung steht, unabhängig davon, über wie viel Geld und wirtschaftlichen Wohlstand wir verfügen.

Und hier möchte ich auch zu einem äußeren Aspekt des Themas "Geld und Wirtschaft" kommen, nämlich die grundlegende Hinterfragung wesentlicher Glaubensmuster, die wir kollektiv zu diesem Thema in uns tragen.

Dies ist keineswegs ein "leichtgängiges" Thema - jedenfalls war es das für mich nicht. Aber zunächst aufgrund der Anregung eines Freundes (Eramo Radant) und weiteren Recherchen von mir selbst, ist mir in den letzten Jahren klar geworden, wie selbstverständlich wir an viele Begrifflichkeiten des Wirtschaftslebens glauben, ohne sie eigentlich tiefer zu durchdringen oder gar zu verstehen.

Ich möchte dem Leser  hier auch keine fertigen Sichtweisen vorgeben, sondern einige anregende Fragestellungen aufzeigen, die Eingangstore zu einer intelligenten, kritischen Betrachtung eröffnen können:

 - Was ist Geld eigentlich? Wofür wurde es "erfunden" und welche Funktion hat es heute? Hat eine Geldmünzen oder ein Geldschein überhaupt einen realen Gegenwert?

 - Was ist Zins und Zinseszins? Welche Auswirkungen hat er auf die Schaffung und Umverteilung von Geldwerten?

 - Wieviel Zinskosten stecken in den alltäglich gebrauchten Gütern von Nahrungsmittel, Mieten, Mobilität  usw.?

 - Was haben die Gewinne aus Finanzprodukten mit den Schulden der Schuldner zu tun?

 - Wieso geht die Schere zwischen Reich und Arm in den meisten Gesellschaften immer weiter auseinander?

 - Was ist mit "Wachstum" gemeint? Welche Arten von Wachstum gibt es und wie kommt es zum allgemeinen wirtschaftlichen "Wachstumsdruck"?

 - Was für andere Möglichkeiten eines Geld- und Wirtschaftssystem gibt es?

 - Wie wäre es den Zins abzuschaffen oder zu minimieren?

 - Was ist "Freigeld" (oder umlaufgesichertes Geld) und was bewirkt es?

 - Welche Möglichkeiten hat jeder Einzelne, um andere Geldsystemen oder Wirtschaftsmodelle auszuprobieren?

Wenn man solchen Fragestellung anhand von Literatur, Web-Recherchen und eigenen Reflektieren nachgeht, mag das manchmal erst kompliziert erscheinen - mir jedenfalls erging es so. Und dennoch lohnt es sich. Zeitweise schien es mir so, als würde die "Denkarbeit", solche Fragen zu ergründen, tatsächlich einer Art spiritueller Praxis gleichen. Dabei geht es zunächst um eine recht intellektuelle Auseinandersetzung, für die wir vernunftsbegabtes Denken brauchen. Auf einer tieferen Ebene findet dann ein Aufbrechen von altgewohnten Denkmustern statt, das zur Eröffnung völlig neuer Perspektiven führt. Insofern scheint es mir gerade beim Thema „Geld und Wirtschaft“, dass sich sowohl eine innere als auch eine äußere Perspektive gegenseitig fruchtbar ergänzen.

Wer sich mehr mit dem Thema beschäftigten möchte, empfehle ich die aktuelle Ausgabe der Connection spirit.

Eventuell werde ich an dieser Stelle auch noch einige Literaturempfehlungen nachliefern.

 Torsten

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